Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 25.) 7
sagt werden, daß der Vorsitzende sich auf die äußere Leitung der Verhand—
lung zu beschränken habe. Es ist vielmehr seine Pflicht, die Wahrheit zu
ermitteln, und er wird es daher nicht vermeiden können, Zeugen und An—
geschuldigte auf Widersprüche, Lücken und Unwahrscheinlichkeiten hinzuweisen
und andere zur Aufklärung der Sache geeignete Bemerkungen zu machen.
Der Vorsitzende wird jedoch gut thun, seine Vorhaltungen in die dem Ernst
der Sache gebührende Form zu kleiden und auch da, wo Anlaß zu tadelnden
Bemerkungen gegeben ist, sich jeder sarkastischen Färbung derselben zu ent—
halten. Unter allen Umständen hat er es zu vermeiden, eine Haltung an—
zunehmen, welche seine persönliche Stellung zur Schuldfrage als eine bereits
feststehende erscheinen läßt.
Die Sachlichkeit in der Leitung der Verhandlung muß besonders
gegenüber dem Verteidiger beobachtet werden, in dessen Mitwirkung das
Gericht ein wichtiges und nützliches Element der Findung materiell richtiger
Entscheidungen zu erblicken hat. Aus dieser Auffassung von der Stellung
des Verteidigers im Strafverfahren entspringt aber auch die Pflicht des Vor-
sitzenden, im Einzelfalle auf die Einhaltung der der Verteidigung gezogenen
Grenzen bedacht zu sein. Insbesondere muß einem Verhalten der Verteidi-
gung, welches die Würde des Gerichts oder die Ehre der an der Verhand-
lung beteiligten Personen beeinträchtigt, mit Entschiedenheit entgegengetreten
werden. Im Laufe der Beweisaufnahme kann die Verteidigung Anträge
und nach Maßgabe der Strafprozeßordnung Fragen stellen; es ist ihr aber
nich zu gestatten, hieran Bemerkungen zu knüpfen, welche in den Schluß-
vortrag gehören; insbesondere ist der Verteidiger nicht befugt, bei dieser Ge-
legenheit die Aussagen der Zeugen und deren Glaubwürdigkeit einer Be-
urteilung zu unterwerfen oder durch Hereinziehung von persönlichen Ver-
hältnissen, welche mit dem Gegenstand der Verhandlung nicht im Zusammen-
hange stehen, die Zeugen oder dritte Personen bloßzustellen.
Eure Hochwohlgeboren ersuche ich, diese meine Auffassungen den zu Vor-
sitzenden der Strafgerichte ausgewählten Richtern zur Beachtung mitzuteilen.
Mit Bestimmtheit erwarte ich, daß nur solche Justizbeamte mir zur
Beförderung in Präsidenten- und Direktorenstellen in Vorschlag gebracht
werden, hinsichtlich deren eine hinreichende Beobachtung ergeben hat, daß
sie die zur Erfüllung jener Anforderungen erforderlichen Eigenschaften be-
sitzen. Auch ist thunlichst darauf hinzuwirken, daß bei der gemäß § 62 des
Gerichtsverfassungsgesetzes den Präsidien obliegenden Geschäftsverteilung die
vorstehend angegebenen Gesichtspunkte Berücksichtigung finden.“
25. Januar. (Berlin.) Vermählung der Prinzessin Mar-
garete mit dem Prinzen Friedrich Karl von Hessen. Der
russische Thronfolger ist dazu anwesend.
26. Januar. Bei einem Frühstück, welches der Großfürst-
Thronfolger beim Kaiser Alexander Garde-Grenadier-Regiment
Nr. 1 einnimmt, bringt der Kaiser folgenden Toast aus:
Gestatten Eure Kaiserliche Hoheit, daß Ich als ältester Kamerad des
Regiments, altem Herkommen gemäß, das erste Glas auf Eurer Kaiferlichen
Hoheit Allerdurchlauchtigsten Herrn Vater leere. Uns allen hier beim Regi-
ment sind noch die gnädigen Worte in lebendiger Erinnerung, mit welchen
Seine Majestät der Zar Sein Regiment beglückte bei Seinem Besuch im
Jahre 1889. Die vielfachen Gnadenbezeugungen und das rege Interesse,
welches Seine Majestät Seinem Regiment allezeit gewährt hat, sowie die
freundschaftliche Anteilnahme an den festlichen Ereignissen Meines Hauses,