Das Dentsche Reihh und seine einzelnen Glieder. (Dezember 27.) 169
zieht, sondern überall selbstthätig ein= und angreift; Herr v. Caprivi scheint
anzunehmen, daß ein Monarch nichts anderes als konservative Politik treiben
könne; man sollte es allerdings annehmen, allein man hat auch Beispiele
vom Gegenteil.“
27. Dezember. Die „Kreuz-Zeitung“ sucht um den Erlaß
vom 22. herumzukommen, indem sie unterscheidet zwischen preußi-
scher und Reichspolitik, wird aber von allen Seiten deshalb ver-
spottet; sie schreibt:
„Mit Ausnahme weniger im Artikel 11 der Verfassung bestimmt
bezeichneter Fälle, in denen der Kaiser persönlich handelt, sind es überall
die im Bundesrat vertretenen verbündeten Regierungen, welche über Vor-
lagen an den Reichstag Beschluß fassen. Bei dem Stimmenverhältnis im
Bundesrat kann es sehr wohl vorkommen, daß die durch die preußischen
Mitglieder zum Ausdruck kommende Ansicht des preußischen Königs in der
Minorität bleibt. Danach ist es eine entschiedene mißbräuchliche Deutung
des Erlasses vom 4. Januar 1882, wenn man ihn auf die Reichspolitik
anwendbar machen will. Er geht allein vom König von Preußen aus,
wendet sich allein an die preußischen politischen Beamten, verlangt von ihnen
allein „die Vertretung“ der Politik des Königs von Preußen und zwar
„auch bei den Wahlen". Er würde aber schlechthin in sein Gegenteil ver-
kehrt werden, wenn die Beamten auch ohne weiteres für alle Maßnahmen
des Bundesrats eintreten sollen. Darum enthält der Erlaß kein Wort da-
von, den Beamten auch die Vertretung des gesetzgeberischen Vorgehens der
im Reich dafür verantwortlichen Faktoren zur Pflicht zu machen. Der Hin-
weis auf ihn durch den preußischen Minister des Innern will dies aber
augenscheinlich thun. „Die politischen Gegensätze und Kämpfe der Gegen-
wart, namentlich auf wirtschaftlichem Gebiete“, geben dem Grafen zu Eulen-
burg „Veranlassung“, die „Beachtung“ des Erlasses den Königlichen Be-
amten „zur Pflicht zu machen“. Diese Worte sind überall so verstanden
worden und können auch wohl kaum anders gemeint sein, als daß sie die
preußischen Beamten auf Grund des Erlasses verpflichten wollen, auch für
die augenblickliche Wirtschafts= und Handelspolitik der verbündeten Regie-
rungen einzutreten oder ihr wenigstens nicht entgegenzutreten. Das wider-
spricht aber offenbar dem Wortlaut und Sinn des Erlasses vom 4. Januar
1882. Die jetzige Wirtschaftspolitik und Handelspolitik ist verfassungsmäßig
nicht die des Königs von Preußen, auch nicht einmal die des Deutschen
Kaisers, sondern sie würde selbst dann im Reiche geltend sein, wenn sie
in ihren gesetzgeberischen Akten den persönlichen Intentionen des Königs
und Kaisers nicht entspräche. Der Erlaß von 1882 hatte es vorsichtig ver-
mieden, die preußischen Beamten auf etwas anderes zu verpflichten, als auf
die Unterstützung der verfassungsmäßig persönlichen Politik des Königs von
Preußen. Wir halten daher die erweiternde Anwendung des Erlasses durch
den preußischen Minister des Innern für sehr bedenklich, weil sie den that-
achlißen verfassungsmäßigen Verhältnissen im Deutschen Reiche nicht ent-
pricht."“