186 Jie Geterreiczisch-Angearische Mosarchie. (Juni 14.— Juli 9.)
ihnen starke Vorwürfe wegen der Sympathien, welche unter den Ruthenen
für die russisch-orthodoxe Kirche gehegt werden, und wollte die Pilger nicht
zum Handkuß zulassen. Die den Pilgerzug führenden Würdenträger, der
Metropolit Sembratowitsch und die Bischöfe Kuilowski und Polesz, schworen
darauf in Rom, daß sie künftighin die im Jahre 1891 in Lemberg von der
ruthenischen Synode gefaßten Beschlüsse streng durchführen würden. Diese
Beschlüsse betrafen die vom Papst angeordnete Einführung, der römisch-
katholischen Gebräuche in den griechisch-katholischen Ritus. Beim neulichen
Pilgerempfang sagte der Papst, er werde dahin wirken, daß der bisher noch
bestehende Unterschied zwischen beiden Riten gänzlich verschwinde. Die ru-
thenischen Kirchenfürsten sagten ihre Mitwirkung zu. Darob herrscht große
Aufregung unter den Ruthenen.
Die ruthenischen Studenten grollen den drei t “.33 weil sie
dem Drängen des Papstes nachgegeben haben. Insofern hat die Demon-
stration einen antipäpstlichen und russophilen Charakter.
14. Juni. In der österreichischen Delegation wird der Vor-
anschlag für das Ministerium des Auswärtigen beraten. Die jung-
tschechischen Redner erklären, das böhmische Volk mißtraue dem
Dreibund, und empfehlen ein Einvernehmen mit Rußland als das
beste Mittel, den gegenwärtigen, bewaffneten Frieden durch einen
wahren unbewaffneten zu ersetzen. Herold erklärt, das ganze böh-
mische Volk verlange eine Aenderung der inneren und äußeren
Politik. Graf Ledebur protestiert gegen das Auftreten der Jung-
tschechen als Vertreter des ganzen böhmischen Volkes.
Anfang Juli. Graf Harrach legt sein Landtagsmandat nieder
und richtet an seine Wähler ein Schreiben, in welchem er hervor-
hebt, daß die Mehrheit des Volkes sich den Jungtschechen zuge-
wendet habe, und dadurch die Aussicht auf einen Frieden mit den
deutschen Landsleuten, ohne welche auf eine günstige Lösung der
Staatsrechtsfrage nicht zu hoffen sei, immer weiter entfernt werde.
9. Juli. (Wien.) Große Arbeiterkundgebung von den
sozialistischen Arbeitervereinen zu Gunsten des allgemeinen Wahlrechts.
Innerhalb des Rathauses sind über fünfzehntausend Arbeiter an-
wesend, während die Parkanlagen vor dem Rathause, ferner die Plätze und
Straßen ringsum mindestens von zwanzigtausend Menschen angefüllt sind,
die bei glühendem Sonnenbrand seit acht Uhr Morgens in musterhafter
Ordnung ausharren. Zweitausend Arbeiter mit roten Kokarden im Knopf-
loch und rotem Band am Arm üben das Ordneramt aus und sorgen für
stete Zirkulation der Massen und Freihaltung der Fahr= und Fußwege.
Die relativ geringe Anzahl der anwesenden Polizei beschränkt sich auf die
Beobachtung. Unweit des Rathauses ist allerdings die gesamte Polizei kon-
signiert. Auch steht für alle Fälle Militär in einigen Kasernen in Bereit-
schaft. Die Arbeiter sowie die große Menge der erschienenen Arbeiterinnen
tragen zumeist rote Nelken als Abzeichen. Den Versammlungen wohnen
auch einige Wiener Reichsratsabgeordnete bei. Außer am 1. Mai hat hier
“ niemals eine auch nur annähernd so große Arbeiterkundgebung statt-
gefunden.