bie Gestrrreichisch-Russrische Msenrhie. (Oktober 24.) 195
Feindseligkeit liege darin, daß bei einer unabsehbar anwachsenden Wähler-
zahl die Zahl der Mandate festgehalten werde, wodurch dem Bürger= und
dem Bauernstande genommen werden müsse, was den unteren Klassen zuge-
dacht. Der Sosgrundbesit seiner Partei lasse sich durch den hingeworfenen
Köder nicht verleiten. Oesterreich sei kein Feld für radikale Experimente,
sondern bedürfe der Weiterentwickelung der sicheren im öffentlichen Leben
wirkenden Kräfte. Die Regierungsvorlage schädige den nationalen Besitz-
stand, insbesondere der Deutschen, im Widerspruch mit der erteilten Zusage.
Aus der Vorlage könne ein demokratischer Föderalismus mit radikalen
agrarischen Tendenzen entstehen, was auf die auswärtige Politik einwirken
müßte. Seine Partei betrachte den Antrag Baernreithers nur als Provi-
sorium, quasi als Notwahlgesetz; sie selbst strebe eine große, der Regierungs-
vorlage nahekommende Wahlreform an, voll Entgegenkommens im Sinne
der Erweiterung des Stimmrechts, sie lasse sich aber nicht mittels einer
Ueberflutung der Mittelstände durch neue Wähler hinwegfegen. Der Zweck
der Regierung sei eine Ablenkung der Aufmerksamkeit von dem Schiffbruche
in Böhmen. Das Endergebnis der 14 jährigen Regierungsära des Grafen
Taaffe sei, daß die Jungtschechen und die Demokraten eine aliirte Regierung
geworden seien. Mit diesen möge sich die Regierung auseinandersetzen, wie
sie wolle, die Stellung seiner Partei sei gegeben. (Beifall links). — Ja-
worski erklärt, er müsse sich klar und offen über die Vorlage äußern, nicht
den Vogel Strauß spielen. Seine Partei habe nur das Interesse des
Staates und des Landes im Auge, für sie seien nur die staatlichen und
nationalen autonomen Grundsätze maßgebend. Redner verweist auf die
Thronrede und hebt die Ueberraschung durch Einbringung der Wahlreform
hervor, deren Ziele auch nach der heutigen Rede des Ministerpräsidenten
unklar seien. Die Wahlreform sei eine solche, daß sie, kaum in Kraft ge-
setzt, von den eigenen Anhängern wieder beseitigt werden würde. Die Polen
würden die Autonomie des Landes immer hoch halten. Redner betont, die
Aufhebung des Prinzips der Beschickung des Reichsrates durch die einzelnen
Landtage Habe die heutigen Verhältnisse hervorgerufen, das allgemeine Wahl-
recht werde aber zu einer zentralistischen Gewalt und einer Vernichtung der
Autonomie des Landes führen. Da die Regierungsvorlage die erste Etappe
zur Einführung des allgemeinen Wahlrechts darstelle, so müßten sie sich ent-
schieden dagegen verwahren, obwohl sie sich der Idee eines erweiterten Wahl-
rechts nicht verschlössen. Ein solches Werk müsse aber in einer Zeit wirt-
schaftlicher und politischer Ruhe, in Harmonie mit den Vertretern des
Landes vorgenommen werden. (Beifall bei den Polen.)
24. Oktober. Besuch des Erzherzogs Albrecht bei Kaiser
Wilhelm in Potsdam.
24. Oktober. (Wien: Abgeordnetenhaus.) Bei der fort-
gesetzten Beratung der Wahlreformvorlage führt Hohenwart aus,
der Klub der Konservativen habe in Erwiderung des der Regierung
jederzeit entgegengebrachten Vertrauens gehofft, in einer so wichtigen Frage
wenigstens vor Ueberraschungen gesichert zu sein; leider sei diese Hoffnung
nicht in Erfüllung gegangen. Die gestrige Erklärung des Ministerpräfi-
denten Grafen Taaffe sei nicht zufriedenstellend. Durch die angeregte Wahl-
reform werde der politische Einfluß des Mittelstandes in Stadt und Land
stark herabgedrückt. Es wäre ein Gebot der Klugheit gewesen, gerade den
Bürger= und Bauernstand in der gegenwärtigen Stellung eher zu stärken
als zu schwächen. Die Regierung sei nicht im Stande, die Konsequenzen
hintanzuhalten. Es sei total unrichtig, daß die ländliche Bevölkerung von
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