Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunter Jahrgang. 1893. (34)

Italien. (Dezember Mitte —20.) 250 
Krieg, Admiral Morin Marine, Baccelli Unterricht, Boselli Acker- 
bau, Pacazzi öffentliche Arbeiten, Ferraris Post und Telegraphen. 
Später übernimmt Baron Blanc das Auswärtige. 
Mitte Dezember. Die italienische Regierung drückt der fran- 
zösischen ihre Teilnahme wegen des Bombenattentates in der Kam- 
mer aus. 
Mitte Dezember. In Sizilien entstehen erhebliche proletarische 
Unruhen, auch unter dem Landvolk, die mehrere Wochen andauern 
und die Einziehung der Reserven und Aufstellung größerer Truppen- 
mengen nötig machen. 
20. Dezember. Der Ministerpräsident Crispi verliest in der 
Deputiertenkammer und im Senate folgende Erklärung: 
„Die Kollegen, welche mich umgeben, legen durch ihre politische Ver- 
gangenheit, durch ihre Ihnen wohlbekannten Gesinnungen Zeugnis für den 
Geist ab, von welchem wir bei der Bildung des neuen Kabinetts geleitet 
waren. Wir gehören keiner Fraktion des Parlaments mehr an als einer 
anderen. Wir gehören zu einer großen Parteieinheit, deren einziges Ziel 
Italien ist, welchem zu dienen wir uns mit Freudigkeit und Opferwilligkeit 
angeboten haben. Wir haben unglücklicherweise die Regierungsgewalt in 
einem Augenblicke übernommen, in welchem die Lage des Vaterlandes eine 
so ernste ist wie noch nie. Wir klagen niemanden wegen der gegenwärtigen 
Sachlage an, dieser Folge einer Reihe von Umständen, die wir zwar fest- 
stellen können, aber nicht richten sollen. Wir wollen daher nur sagen, daß 
die Schwierigkeiten, die wir zu überwinden haben, große sind, und daß wir, 
um Kredit zu haben, die Finanzen zu reorganisieren, die Macht des Ge- 
setzes zu stärken und dem Lande ein neues Selbstbewußtsein zu geben, der 
Mitwirkung der Kammer ohne Unterschied der Parteien bedürfen. Zu 
diesem Ende fordere ich Sie auf, einen Gottesfrieden einzugehen. Wenn die 
Wohlfahrt Italiens wiederhergestellt ist, mag jeder seinen Platz wieder ein- 
nehmen! Uns heute zu bekämpfen, uns heute einander entgegenzustellen, 
das wäre — gestatten Sie mir, Sie dessen patriotischen Herzens zu ver- 
sichern — ein Verbrechen. Wenn die Gefahr drängt, müssen wir alle einig 
sein für die gemeinsame Abwehr. Von dem König zu der schwierigen Auf- 
gabe der Leitung des Staates berufen, fühlen wir uns nicht sicher ohne 
Ihr Vertrauen und ohne das Vertrauen des Volkes, dessen Dolmetsch wir 
zu sein haben. Wir legen Gewicht darauf, vor Ihnen zu erklären, daß der 
Patriotismus nicht das Monopol irgend einer Partei ist. Wir wenden uns 
deshalb an Sie, damit Sie uns zum Gelingen unseres Werkes behilflich 
seien. Das Werk, welches wir in Angriff nehmen, ist das wichtigste seit 
dem Erlaß der nationalen Verfassung von 1859. Bis zum Jahre 1890 
arbeiteten wir daran, die materielle Einheit des Vaterlandes zu sichern. 
Nunmehr müssen wir daran gehen, die moralische Einheit zu befestigen, 
damit das Gebäude, für welches das Blut unserer Märtyrer vergossen 
wurde, ein dauerhaftes werde. Die Bedürfnisse des Landes sind zahlreich; 
um denselben zu genügen, wird die Exekutivgewalt dem Parlament die not- 
wendigen Gesetzvorlagen unterbreiten. Indeß muß daran erinnert werden, 
daß keine Zeit zu verlieren ist. Zögern würde doppelten Nachteil haben, 
es würde die Unzufriedenheit im Innern vermehren und unsern Kredit 
im Auslande noch weiter schwächen. Wir werden in der Verwaltung durch 
zweckmäßige Vereinfachungen in den Zweigen des öffentlichen Dienstes mög- 
17“
	        
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