Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunter Jahrgang. 1893. (34)

270 Schweiz. (August 12.—21.) 
welcher lautet: „Um dem ersten Mai einen bestimmten ökonomischen Charakter 
der Forderung des Achtstundentages und der Bekundung des Klassenkampfes 
zu wahren, beschließt der Kongreß: Der erste Mai ist ein gemeinsamer 
Demonstrationstag der Arbeiter aller Länder, an dem die Arbeiter die Ge- 
meinsamkeit ihrer Forderungen und ihre Solidarität bekunden sollen. Dieser 
Demonstrationstag soll ein Ruhetag sein, soweit dies durch die Zustände in 
den einzelnen Ländern nicht unmöglich gemacht wird.“ 
2. Der Kongreß beschließt folgenden Zusatz: „Die Sozialdemokratie 
jedes Landes hat die Pflicht, die Durchführung der Arbeitsruhe am 1. Mai 
anzustreben und jeden Versuch zu unterstützen, der an einzelnen Orten, oder 
von einzelnen Organisationen in dieser Richtung gemacht wird.“ 
3. Der Kongreß beschließt ferner: „Die Kundgebung des 1. Mai 
für den Achtstundentag soll zugleich eine Kundgebung des festen Willens 
der Arbeiterklasse sein, durch die soziale Umgestaltung die Klassenunterschiede 
zu beseitigen und so den einzigen Weg zu betreten, der zum Frieden inner- 
halb jedes Volkes, wie zum internationalen Frieden führt."“ 
In der Diskussion blieb der erste Antrag, der ja nur die Wieder- 
holung eines früheren Kongreßbeschlusses ist, unbestritten. Dagegen wurden 
der zweite und der dritte Antrag von deutscher Seite (Bebel) angefochten, 
wobei u. a. geltend gemacht wurde, es solle jeder Nation überlassen bleiben, 
zu bestimmen, wie und wann sie ihre Maifeier am zweckmäßigsten gestalten 
wolle. So wünschen die deutschen Sozialdemokraten, daß die Bestimmung 
der Art und Weise der Feier alljährlich dem Parteitage überlassen bleibe. 
Durch Annahme des dritten Antrages würde die künftige Maifeier in einer 
Reihe von deutschen Städten unmöglich gemacht. Ein österreichischer Dele- 
gierter bedauert, daß die deutschen Sozialdemokraten nicht einmal den Ver- 
such machen wollen, den ersten Mai als Arbeiterfeiertag zu proklamieren. 
Von der Mehrheit der englischen Degation wird dem Antrag zugestimmt, 
während die Minderheit sich für Verlegung des Arbeiterfeiertages auf den 
ersten Maisonntag ausspricht, wie man dies bisher in England geübt hat. 
In der Abstimmung wurde die Resolution der Kommission angenommen, 
der zweite Antrag mit 15 gegen 4 Stimmen (Deutschland, Rußland, Bul- 
garien, Australien). 
12. August. (Sozialisten-Kongreß.) 
Der Antrag der Kommission wird angenommen, daß die Partei sich 
in der bisherigen Form an allen parlamentarischen Arbeiten und Wahl- 
kämpfen beteiligen solle zur Erlangung der politischen Macht. Die Ent- 
scheidung über Kompromisse und über die Taktik im Speziellen soll den 
einzelnen Ländern überlassen bleiben. Ferner wird ein Zusatzantrag des 
Delegierten Ellbogen angenommen, wonach auf die Einführung des allge- 
meinen Wahlrechts in allen Ländern hingewirkt werden soll. Namentlich 
sollen die Sozialisten Oesterreichs von dem Proletariat der ganzen Welt 
moralisch unterstützt werden. Schließlich wird beschlossen, die Agrarfrage 
in erster Stelle auf die Tagesordnung des nächsten Kongresses zu setzen. 
Der Sozialistenkongreß beschloß ferner mit 16 gegen 12 Stimmen bei der 
Abstimmung nach Nationalitäten die Errichtung großer internationaler Ver- 
bände mit gemeinschaftlichen Arbeitersekretariaten. Auf Einladung der eng- 
lischen Delegierten wurde beschlossen, den nächsten Kongreß im Jahre 1895 
in London abzuhalten. Sodann wurde der Kongreß durch Friedrich Engels 
als Ehrenpräsident geschlossen. 
21. August. (Bern.) Das Schächtverbot wird in der Volks- 
abstimmung mit 189,250 gegen 113,255 angenommen. 11 1½ Kan- 
 
	        
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