292 Hulsarien. (April 20.—Mai 28.)
regle. Kein Bulgare denke jetzt an die Erklärung der Unabhängigkeit des
Landes oder Forcierung der Anerkennung des Prinzen. Jedes von einer
fremden Regierung an Bulgarien gestellte Verlangen bedeute ein Stück fak-
tischer Anerkennung. Der formalen Anerkennung bedürfe Bulgarien nicht.
Niemand wünsche die Verletzung oder gar die Herausforderung Rußlands.
Die Bulgaren wollten nur Ruhe für die Entwicklung und Verbesserung
ihres Verwaltungswesens. Niemand in Bulgarien sei gegen den Prinzen
Ferdinand, der aus allen Parteischichten Ergebenheitsbeweise erhalte. Die
Beziehungen zu Oesterreich-Ungarn, Italien, England und Deutschland seien
gute. Uir hohen Pforte, sagt Stambulow, standen wir nie so gut
wie jetzt.
20. April. Vermählung des Fürsten Ferdinand mit
der Prinzessin Marie Louise von Parma in Pianore bei Pisa.
28. Mai. (Tirnowo.) Die von der kleinen Sobranje be-
reits gebilligte Abänderung der Verfassung wird einstimmig durch
die große Sobranje angenommen.
Die Hauptpunkte der Abänderungen sind folgende: 1. Der Fürst führt
den Titel „Zarko Visotschestvo“, ebenso der Thronfolger. Dieser Titel
ist am ehesten mit „Kaiserliche Hoheit“ wiederzugeben. Bulgarien hatte
früher nur Zaren als Herrscher, die in päpstlichen Urkunden bis 1204
„nobilis vir“, nach 1204 „rex“, 1237 „nobilis vir, dominus bulgarorum“,
1291 „imperator bulgarorum illustris“, 1337 „rex“ genannt wurden. In
amtlichen französischen Schriftstücken führt Fürst Ferdinand seit seiner Thron-
besteigung den Titel „Altesse Royale“. 2. Der erste Nachfolger des ge-
wählten Fürsten braucht nicht der orthodoxen Religion anzugehören. Ein
Sohn des Fürsten Ferdinand würde also doch seinen Erstgeborenen in der
orthodoxen Religion erziehen müssen. Sollte der gegenwärtige Fürst bei
seinem Ableben keinen Sohn hinterlassen, so würde also abermals eine
Fürstenwahl nötig werden und, falls der so gewählte dritte Fürst Bul-
gariens einem andern christlichen Bekenntnis als dem orthodoxen angehört,
würde er und sein Erstgeborener in die Rechte eintreten, welche die große
Sobranje gegenwärtig dem gewählten Fürsten zuerkannt hat. 3. Der Fürst
hat das Recht, Orden zu verleihen. 4. Die Abgeordneten zur Sobranje
werden für fünf Jahre gewählt, auf 20,000 Bulgaren beiderlei Geschlechts
entfällt ein Abgeordneter. Früher wurde auf 10,000 Seelen ein Abgeord-
neter für drei Jahre gewählt. 5. Die Beschlußfähigkeit der Sobranje ist
bei Anwesenheit von mehr als einem Drittel der Abgeordneten vorhanden.
Früher wurde die Hälfte verlangt. Stambulow begründete den Antrag
besonders dadurch, daß die Minderheiten nicht in die Lage versetzt werden
sollten, durch Fernbleiben von den Verhandlungen die Beschlußunfähigkeit
herbeizuführen. 6. Die geheime Stimmenabgabe kann nur auf Antrag von
10 Mitgliedern und nach Annahme dieses Antrags durch die Sobranje ge-
schehen. Die letter Bedingung fehlte bisher in der Verfassung. 7. Der
Fürst hat das Recht, unvorhergesehene Ausgaben des Staates bis zur Höhe
von einer Million Franken zu gestatten. Die alte Verfassung setzte diese
Höhe auf 300,000 Franken fest. 8. Allen Abgeordneten werden Tagegelder
gezahlt. Früher hatten nur die ein Recht auf Tagegelder, welche an einem
andern Orte lebten, als an dem, an welchem die Sobranje tagte. Die Tage-
gelder wurden auf 20 Franken festgesetzt. 9. Die Zahl der Abgeordneten
zur großen Sobranje wird auf die doppelte Zahl der Abgeordneten zur
gewöhnlichen Sobranje festgesetzt. 10. Es werden zwei neue Ministerien
geschaffen: das Ministerium für Handel, Landwirtschaft und Industrie und