Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunter Jahrgang. 1893. (34)

Nord-Auerika. (Juli 1.— August 7.) 307 
archisten aus allen Teilen der Welt hatten Einladungen erhalten, und An- 
archisten von Ruf, sowohl aus Europa wie auch aus Amerika hatten ver- 
sprochen, Ansprachen zu halten. Das Denkmal besteht aus einer Bronze- 
gruppe, die auf einem breiten sich abstufenden Unterbau vor einer Säulenplatte 
steht, die von einem mit jonischen Voluten gezierten Sims gekrönt wird. 
Die Hauptfigur der Bronzegruppe ist eine weibliche Gestalt, die das Haupt, 
Trotz und Verachtung in den Zügen, zurückwirft. Ihr rechter Arm krampft 
sich mit geballter Faust gegen die Brust, während sie mit der linken Hand 
einen Lorbeerreis auf die Stirn eines tot hinter ihr liegenden Mannes drückt. 
Zu den Füßen der Figur liegen auf der obersten Stufe des Unterbaues 
bronzene Palmenblätter, und zu beiden Seiten der Säulenplatte find die 
in Bronze ausgeführten Bildnisse der hingerichteten Anarchisten angebracht. 
Als Inschrift dienen die letzten Worte, die August Spieß auf dem Schaffot 
gesprochen hat: „Unser Schweigen wird mächtiger sein als es Worte sein 
können.“ Diese Enthüllungsfeier hat also durch die Handlungsweise des 
Gouverneurs Altgeld ihre amtliche Weihe erhalten. 
1. Juli. Cleveland beruft den Kongreß zu einer außer- 
ordentlichen Session auf den 7. August, um die Sherman-Bill ab- 
zuschaffen. 
7. August. (Washington.) Der Kongreß der Vereinigten 
Staaten wird eröffnet. Präsident Cleveland richtet eine Botschaft 
an den Kongreß, die im wesentlichen lautet: 
„Das Bestehen einer außerordentlich Besorgnis erregenden Geschäfts- 
lage, wobei es sich um den Wohlstand und die Wohlfahrt unseres Volkes 
handelt, hat mich gezwungen, die im Kongreß vereinigten Vertreter des 
Volkes zu einer außerordentlichen Tagung zu entbieten, damit durch weise 
und patriotische Ausübung der Pflichten eines Gesetzgebers die gegenwärtigen 
Uebelstände gemildert und die für die Zukunft drohenden Gefahren abge- 
wandt werden. Unsere unglückliche finanzielle Lage ist nicht das Resultat 
widriger Ereignisse, noch hängt sie mit unseren natürlichen Hilfsquellen zu- 
sammen, noch läßt sie sich auf eine der Heimsuchungen zurückführen, welche 
häufig das nationale Wachstum und die nationale Wohlfahrt hemmen. Bei 
reichlichen Ernten, bei ausgiebigen berechtigten Hoffnungen auf lohnende 
Produktion und Industrie, bei ungewöhnlicher Gelegenheit zu höherer Kapital-= 
anlage und bei befriedigender Sicherheit für Geschäftsunternehmungen ist 
allerorten plötzlich geschäftliches Mißtrauen und Furcht aufgetaucht und zahl- 
reiche Geldinstitute haben ihre Zahlungen eingestellt, weil nicht augenblick- 
lich Barkapital vorhanden war, um die Forderungen der ängstlichen Depo- 
sitoren zu befriedigen. Die übrigen Anstalten sind bestrebt, ihr Geld zu 
behalten, welches sie sonst gern ausleihen, und die Geschäftsleute sind er- 
staunt, zu finden, daß die Sicherheiten, welche sie für Darlehen geben wollen, 
obgleich sie bisher genügten, jetzt nicht mehr angenommen werden. Früher 
feste Werte haben jetzt nur einen unsicheren, und Verluste und Bankerotte 
sind in jeder Geschäftsbranche zu verzeichnen. Ich glaube, all dieses ist 
hauptsächlich eine Folge des Kongreß-Gesetzes über den Ankauf und die 
Prägung des Silbers seitens der Bundesregierung. Dieses Gesetz ist vom 
14. Juli 1890 und bildet den Waffenstillstand zwischen den Anhängern der 
freien Silberprägung und den Freunden konservativerer Anschauungen. Un- 
zweifelhaft wurde der monatliche Ankauf von 4,500,000 Unzen Silber durch 
die Regierung von den Interessenten der Silberproduktion als sichere Ge- 
währ der Preiserhöhung betrachtet. Das Ergebnis ist aber ein ganz anderes 
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