Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunter Jahrgang. 1893. (34)

22 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 8.) 
an den Küsten selbst im wesentlichen nur zu machen durch gepanzerte Schiffe 
und Fahrzeuge und Torpedoboote, auf hoher See durch Kreuzer. Man 
kann nicht mehr wie in alten Zeiten ganze Flotten, die mit Getreide kommen, 
durch Schiffe konvoyieren und eskortieren, sondern man muß durch eigene 
Kreuzer die des Feindes aufsuchen und sie zu vernichten suchen, um dann 
den eigenen Schiffen den freien Weg über den Ozean zu bereiten. Wir 
sind für den Kriegsfall in dieser Beziehung, namentlich wenn wir an einen 
Krieg gegen Westen denken, in einer schwierigen Lage. Was bei uns ein- 
geführt werden soll und über den atlantischen Ozean kommt, muß entweder 
den Kanal passieren oder nördlich um England herumgehen. Einer an 
Kreuzern überlegenen feindlichen Flotte würde es nicht schwer sein, unseren 
Schiffen den Kanal zu sperren. Es würde ihr wahrscheinlich auch nicht 
schwer sein, den Weg über dem Nordende von Schottland so zu beobachten, 
daß die Passage für unsere Schiffe eine schwierige wird. Wir werden also 
immer darauf angewiesen bleiben, zunächst unsere Küsten durch Panzer und 
durch Torpedoboote schützen zu müssen, um den Schiffen, die nun durch den 
Kanal oder um das Nordende von England gekommen sind, wenn sie sich 
unseren Küsten nähern, den Eingang in unsere Häfen offen zu halten. Wir 
brauchen also die Panzer nicht, um auf Abenteuer auszugehen, sondern um 
unsere Existenz während eines Landkrieges zu sichern; denn, wenn wir 
während eines Krieges auf einen Import nicht mehr rechnen können, kann 
unsere Existenz schwer bedroht sein. Ich halte es nicht für wahrscheinlich, 
daß unter einigermaßen normalen Verhältnissen und bei unserer heutigen 
Bevölkerungszahl wir im Kriege absolut auf den Import fremden Getreides 
angewiesen wären. Wir können uns beschränken. Wir können, statt Kar- 
toffeln zu breunen, Kartoffeln essen, wir würden das eine und das andere 
Mittel finden können, auch wenn der Krieg lange dauert. Wir würden 
statt Rüben Getreide bauen können, und so glaube ich, daß, wenn der 
Himmel nicht allzu ungünstig wäre, wir uns entweder allein, oder wenigstens 
im Verein mit unseren österreichischen Verbündeten würden helfen können. 
Aber man hat kein Recht, mit so günstigen Umständen zu rechnen. Wir 
können auch schlecht ernten, und diese ganze Rechnung würde fehlerhaft 
werden mit dem Augenblick, wo der Kriegsschauplatz auf deutschen Boden 
verlegt werden würde; denn dann würde das deutsche Korn nicht mehr für 
Deutsche reifen, sondern für die feindliche Armee. Wir würden unsere 
eigenen Krieger nicht mehr von fremdem Korn nähren können, sondern von 
dem Korn, das auf dem Reste deutschen Bodens, der uns verblieben ist, 
wachsen möchte. Wir werden also gut thun, unsere Aufmerksamkeit auf die 
Notwendigkeit zu richten, in die wir versetzt werden können, unsere Häfen, 
entweder ganz oder wenigstens den einen oder anderen, blockadefrei zu halten, 
um den Import zu ermöglichen — nicht allein aber den Import von Ge- 
treide, was allerdings unter Umständen ja das Wesentlichste ist und für 
den Ausgang des Krieges bedingend und entscheidend werden kann, sondern 
auch den Import von anderen Waren. Wir brauchen Rohstoffe, um unsere 
Fabriken im Stand zu halten, wir brauchen Kolonialwaren, wir sind ver- 
wöhnter wie unsere Bäter und Großväter, die zur Zeit der Kontinental- 
sperre mit Eichelkaffee sich begnügten, wir würden eine Menge Dinge schwer 
entbehren; nicht bloß, weil uns jene Artikel fehlen würden, sondern weil 
Handel und Wandel dadurch aufs Tiefste geschädigt würden. Ich kann meine 
Ueberzeugung nur dahin aussprechen, daß, um während eines Krieges das Land- 
heer leistungsfähig, die Steuerzahler, die überhaupt noch Steuern zahlen, steuer- 
fähig zu erhalten, wir danach streben müssen, die Blockade von unseren Küsten 
fernzuhalten. Und um das zu können, können wir der Panzerschiffe, der 
Kreuzer und Torpedoboote nicht entbehren. (Lebhaftes Brav ! rechts.)
	        
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