Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunter Jahrgang. 1893. (34)

360 Mebersicht der yolitischen Eutwickelung des Jahres 1893. 
langen bisher; es bedurfte der vollständigen wirtschaftlichen Zer- 
rüttung des Landes, um das Volk zur Anteilnahme an den inneren 
Verhältnissen anzuregen. Leider aber haben sich gerade die Umsturz- 
parteien dieses Umstandes bedient, um ihre Sonderzwecke zu verfolgen. 
Als der konservative Minister Canovas sich gezwungen sah 
(9. Dezember 1892), seine Entlassung zu verlangen, und Sagasta 
und die Liberalen von der Königin berufen wurden, die Leitung 
der Staatsgeschäfte zu übernehmen, waren die inneren politischen und 
wirtschaftlichen Verhältnisse so trostlos, daß man befürchten mußte, 
ihre Fortdauer würde einen großen Ausbruch der Volksleidenschaften 
herbeiführen. Namentlich die Zustände in der Stadtverwaltung 
von Madrid erregten die größte Erbitterung. Die Übernahme der 
Regierung durch die Liberalen, die Grundsätze, die Sagasta bei der 
Bildung seines Kabinetts befolgte, die Versprechungen, die er und 
seine Amtsgenossen abgaben; die Thatsache, daß mit größtem Nach- 
druck der Versuch gemacht wurde, überall Ersparnisse zu erzielen 
und die Finanzlage zu bessern, all dies erzeugte in allen Schichten 
der Bevölkerung und an der Börse anfangs lebhafte Befriedigung 
und Vertrauen zu der Regierung. Man durfte annehmen, daß, 
wenn es dieser gelang, ihr volkstümliches Programm durchzuführen, 
der immer lebhafteren Thätigkeit der Anarchisten und Republikaner 
entgegengewirkt und die dem Thron drohende Gefahr abgewendet 
werden würde. 
Die Kortes wurden (5. Jan.) aufgelöst und Neuwahlen aus- 
geschrieben. Die Wahlvorbereitungen erregten nicht nur das ganze 
Volk auf das äußerste. sondern lenkten auch die Aufmerksamkeit und 
Kraft der Regierung und ihrer Behörden von den höheren Auf- 
gaben ab, die in großer Fülle der schleunigsten Ausführung harrten. 
Die Regierung mußte sich gehörig rühren, um bei den Wahlen den 
Konservativen die Spitze zu bieten, die es nicht verschmähten, sich 
mit Karlisten und Republikanern gegen die Liberalen zu verbünden. 
Auch die Republikaner entfalteten eine ungewöhnliche Thätigkeit, da 
ihre Siege bei den Gemeinderatswahlen von 1892 das Vertrauen 
in ihre Macht gesteigert und den Glauben bei ihnen befestigt hatten, 
daß es nur noch weniger ähnlicher Erfolge bedürfte, um dem Re- 
publikanismuns zum vollständigen Siege zu verhelfen.
	        
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