368 Nebersicht der politiscen Entwi#elung des Jahres 1893.
findet indessen ein Mitglied des Staatsrats, daß der Beschluß des
Königs gegen die Verfassung oder die Gesetze des Landes verstößt
oder „augenscheinlich schädlich" für das Reich ist, so ist es Pflicht,
„kräftige Vorstellungen“ dagegen zu erheben und seine Meinung zu
Protokoll zu geben. Derjenige, der nicht solcherart protestiert, wird
als einig mit dem König betrachtet und dafür zur Verantwortung
gezogen werden.
Gemeinsam sind für Norwegen und Schweden nur die aus-
wärtigen Angelegenheiten und also auch Krieg und Frieden. Der
König führt somit wohl den Oberbefehl über die norwegische Kriegs-
macht, doch ist er auch in dieser Beziehung manchen Beschränkungen
unterworfen. So darf er Norwegens Linientruppen und die Ma-
rine zu einem Angriffskriege nur mit Zustimmung des Storthings
benutzen und die norwegische Landwehr kann er außerhalb der
Grenzen Norwegens überhaupt nicht verwenden. Die auswärtigen
Angelegenheiten Norwegens, dessen Regierung keine Abteilung für
das Auswärtige enthält, werden von dem schwedischen Ministerium
des Auswärtigen mit wahrgenommen. Dies schließt natürlich nicht
aus, daß Norwegen als selbständiges Reich mit fremden Mächten
besondere Handelsverträge abschließen kann; daß aber in allem
übrigen Betracht seine auswärtigen Angelegenheiten von Stockholm
aus geregelt werden, ist ein Punkt, über den die Norweger nicht
hinwegkommen können und der nun zu einem so gefährlichen Zank-
apfel zwischen den beiden Reichen geworden ist. Bei der Eifersucht,
womit die Norweger ihre freie Verfassung bewachen, hatte die große
Zahl der politisierenden Juristen, Dichter und Schulmänner, ge-
stützt auf einige von dem schwedischen Auswärtigen Amte seinerzeit
getroffene Maßregeln, die den Unwillen der Norweger herausgefor-
dert hatten, kein schweres Spiel, Stimmung für noch weitere Aus-
dehnung der Selbständigkeit des Landes zu machen. Der Neigung
des Volkes entsprechend hatte der König im Frühjahr 1891 an
Stelle des zurücktretenden konservativen Ministeriums Stang das
radikale Ministerium Steen ernannt. Die in demselben Jahre voll-
zogenen Wahlen zum Storthing brachten eine diesem Ministerium
günstige Mehrheit, indem an Stelle der bisherigen 53 Konser-
vativen, 38 Radikalen und 23 Gemäßigten nunmehr 64 Radikale