28 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 16.)
als das letzte Wort betrachten, so halte ich eine Verständigung nicht für
möglich und das Scheitern der Vorlage in diesem Reichstage für besiegelt.
Darüber dürfen sich die Vertreter der Regierung keinen Illusionen hingeben.
Redner weist alsdann darauf hin, daß im Reiche eine Einrichtung nicht be-
steht wie in den Einzelstaaten, welche die notwendige Rücksicht auf die
finanziellen und wirtschaftlichen Verhältnisse garantiert. Der Reichskanzler
kennt bei den obersten Staatsbehörden nur Untergebene. Die Einrichtung
der allgemeinen Wehrpflicht ist ein wunderbares Element der nationalen
Erziehung. Militärs von besonderem Eifer und Pathos erachten es für
Aufgabe, in der Ausstattung der Heereseinrichtungen das Vollständigste zu
schaffen. Nur zu leicht vermischt sich alsdann in den Köpfen das Notwendige
und Unentbehrliche mit dem Wünschenswerten, um so mehr, wenn der Wider-
stand und die Kontrolle vom finanziellen Standpunkt aus fehlt. Redner
weist auf die drei Defizitjahre in Preußen hin mit einem Fehlbetrag von
zusammen über 150 Millionen Mark. Die notwendigsten Aufwendungen
für kulturelle Aufgaben müssen deshalb in geradezu beschämender Weise
zurückgestellt werden. Der Herr Reichskanzler hat sich persönlich mit der
Aufgabe der Heeresreform seit Jahren beschäftigt. Er hat große Schwierig-
keiten überwunden, um alle Stellen dafür zu gewinnen. Es wäre mensch-
lich natürlich, wenn bei einer so kolossalen militärischen Aufgabe zuletzt die
militärischen Bedürfnisse stärker bei ihm in Herz und Sinn hervorgetreten
sind, als es sonst bei einer mehr vergleichsweisen Betrachtung mit den an-
deren Staatsaufgaben der Fall wäre. Schon in regelmäßigen Zeiten werden
die militärischen Forderungen bei uns mit ganz besonderem Nachdruck ver-
treten. Je schwieriger die Borlage im ganzen zusammengekommen ist, desto
mehr bemüht man sich, sie in ihren Einzelheiten bis zuletzt festzuhalten. Das
kann man der Regierung nicht verdenken. Aber andererseits muß ich an
die Reichsregierung und an die verbündeten Regierungen appellieren; wenn
wir zur Auflösung gedrängt werden, so kann niemand sagen, wie es im
kommenden Reichstag aussieht. Die es am besten wissen können, meinen,
daß dann diese Vorlage noch viel weniger Aussicht haben wird und auch
auf andern Gebieten die Opposition stärker hervortreten wird. In die Folgen
wird deshalb nicht bloß der Reichstag, sondern auch die Regierung hinein-
gezogen. Wie soll aber eine bessere Aussicht sich eröffnen auch im Falle der
Auflösung, wenn die Regierung erklärt, daß an ihren großen Zahlen nicht
gerüttelt werden darf? Infolge des wirtschaftlichen Niedergangs wird eine
Auflösung aus vielen Gründen Unruhe und Unsicherheit bringen. Es ist
eine moderne Agitation entstanden, die man früher in dieser Weise nicht
kannte. Einzelne Parteien sind von innerer Zersetzung begriffen. So wird
eine Auflösung ein wüstes Bild von Verwirrung und Verwilderung ergeben,
wie man es früher auch bei dem schärfsten demagogischen Treiben nicht ge-
kannt hat. In welche Stellung gerät dann die Regierung! Das ist von
ebenso akuter Wichtigkeit wie ihr Verhältnis zu den auswärtigen Mächten.
Freisinnige und Zentrum machen natürlich alsdann ihr jetziges Programm
der Aufrechterhaltung der Friedenspräsenzstärke zum Wahlprogramm. Die
Nationalliberalen acceptieren zwar den ganzen Plan, erklären ihn aber mit
diesen Zahlen nicht für ausführbar innerhalb der ersten fünf Jahre. Es
bleiben daher zur Unterstützung der Regierung nur übrig die Konservativen
und Freikonservativen; aber deren Unterstützung wird eine sehr eigenartige
sein. Es ist noch nicht lange her, daß man von dieser Seite die ganze
Heeresvorlage als eine Verschlechterung der Armee bezeichnete. Nur not-
gedrungen und nach und nach ist man zur Annahme gekommen. Die An-
näherung der Konservativen an die Regierungsvorlage ist gewachsen mit der
Verringerung der Aussichten ihres Zustandekommens. (Sehr wahr! und