Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunter Jahrgang. 1893. (34)

Aebersicht der politischen Entwichelung des Jehres 1893. 373 
wünschte, blieb nichts übrig, als die Verfassung zu ändern und 
zu gestatten, daß auch in der nächsten Generation noch das Staats- 
oberhaupt einer nicht-orthodoxen Konfession angehöre. Natürlich 
ein neuer Grund, um russischerseits gegen die Legalität der Zustände 
in Bulgarien zu protestieren (vgl. Rußland S. 283). Im übrigen 
hatten sich sowohl Rumänien wie Bulgarien einer gedeihlichen 
Weiterentwickelung zu erfreuen. Die immer erneuten Attentate der 
Panslawisten in Bulgarien mißglückten und führten nur immer 
von neuem den Beweis, welcher ruchlosen Mittel sich die in Ruß- 
land herrschende Richtung für ihre politischen Zwecke bedient. 
Als der erste Bulgarenfürst, der Sieger von Slivnitza, Alexander, 
in diesem Jahre plötzlich an einer akuten Krankkheit starb, bereitete 
ihm das bulgarische Volk eine feierliche Beisetzung in Sophia und 
gewährte in großmütiger Weise seiner Witwe eine Pension. 
Ganz anders als in den genannten Staaten sieht es in Ser- 
bien und Griechenland aus. Beide leiden vor allem an dem Punkte 
der Finanzen und Griechenland brachte es zu einem regulären 
Staatsbankerott. Die große Masse der Serben sind Bauern, die 
von der Kultur überhaupt und besonders von den Kosten, die sie 
macht, nichts wissen wollen. Ihnen gegenüber steht eine Minorität 
der Gebildeteren, die den Anschluß an die europäische Kultur suchen; 
diese, die Liberalen, neigen daher zu Osterreich, während die Bauern, 
die Radikalen, aus nationalem und religiösem Instinkt wie aus 
Gegensatz gegen die Liberalen russisch gesinnt find. Eine besondere 
Koterie bildet daneben noch die Fortschrittspartei unter Garaschanin. 
Das Königtum kann auf die Dauer unmöglich mit den Radikalen 
gehen, sowohl wegen ihrer allgemeinen halbbarbarischen Weltan- 
schauung, als auch wegen des auswärtigen Konflikts mit dem be- 
nachbarten Osterreich, zu dem eine russenfreundliche Politik führen 
müßte. Dieser Gegensatz wurde noch verschärft durch die Perfön= 
lichkeit König Milans, seine Verschwendung und sein skandalöses 
Zerwürfnis mit seiner russischen Gemahlin, so daß der König end- 
lich keinen Ausweg sah, als zu Gunsten seines minorennen Sohnes 
abzudanken (1889). Aber die Regentschaft, die er einsetzte, geriet 
bald ganz in dieselbe Zwickmühle, daß die Radikalen die große Ma- 
jorität haben und eine radikale Politik doch schlechterdings unmög-
	        
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