Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunter Jahrgang. 1893. (34)

44 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 3.) 
Selbst wenn alle Forderungen der verbündeten Regierungen in dieser 
Militärvorlage politisch und militärisch berechtigt und vollbegründet 
wären, so ist meiner Meinung nach der Fortbestand einer Partei wie 
das Zentrum, so wie es jetzt ist, für das Deutsche Reich immer noch 
wichtiger als die Berechtigung der Militärvorlage. (Hört! hört! rechts.) 
Das übersetze man einmal in das Deutsche: es ist mir ganz egal, 
ob die Russen in Berlin und die Franzosen in München stehen, wenn nur 
die Zentrumspartei noch existiert. (Heiterkeit rechts.) 
Ich will dem Herrn Redner nicht zu nahe treten. Vielleicht wird 
er aber später in der Lage sein, mir den Kern von Patriotismus, der in 
dieser Aeußerung etwa liegen könnte, herauszuschälen. (Heiterkeit rechts.) 
Mir ist es nicht möglich gewesen, ihn zu finden. (Bravo! rechts.) 
Und was nun, um mit der Miliz zu schließen, dieselbe angeht, so 
ist sie ja am klarsten als Idee von den Sozialdemokraten vorgetragen 
worden. Der Herr Abg. Bebel hielt in der Kommission in der ersten 
Sitzung eine Rede über die allgemeine politische Lage. Kein Regierungs- 
kommissar konnte sie besser halten. Mit Spannung habe ich ihm zugehört 
und war nun fest überzeugt, daß jetzt der Satz kommen werde: also stimme 
ich für die Militärvorlage. (Heiterkeit.) Nichts weniger als das! Es kam 
nur: also brauchen wir acht Millionen Soldaten, und die können wir nur 
auf dem Wege der Miliz erhalten. Nun glaube ich nicht, daß ich Herrn 
Bebel und seine Fraktionsgenossen bekehre, aber die Herren, die noch nicht 
ganz so weit sind wie er in Bezug auf die Miliz, bin ich vielleicht zu 
warnen im stande, wenn ich aus einer Reihe von Artikeln, die der „Vor- 
wärts“ unter der Ueberschrift brachte: „Kann Europa abrüsten?“ eine einzige 
Stelle vorlese. Der Schriftsteller sagt: Er wolle Jugendwehren haben —. 
Das Schwergericht der militärischen Ausbildung ist in die Jugend zu legen. 
Um dies nun zu bewerkstelligen, wolle er entlassene Unteroffiziere 
bei den Dorfschulen anstellen; Unterricht sollen sie nicht erteilen, aber 
Turnen und Exerzieren, und was denkt sich der Schriftsteller als den Erfolg?: 
Und wenn die Unteroffiziere erst aus der Heimlichkeit der Kaserne 
und Militärgerichtsbarkeit ans Tageslicht des Schulhofes und des bür- 
gerlichen Strafprozesses versetzt sind, dann, wette ich, bringt unsere re- 
bellische Schuljugend auch dem ärgsten ehemaligen Soldatenschinder 
mores bei. (Bewegung.) 
Das, wohin Sie es mit der Miliz treiben wollen, ist eben, daß der Unter- 
gebene den Vorgesetzten mores lehren soll, und dahin zielen auch alle die 
Mißhandlungsdebatten, die hier geführt werden, bewußt oder unbewußt. 
(Sehr richtig! rechts.) Das Resultat wird das sein, daß die Erhaltung der 
Disziplin unendlich viel schwerer wird. Ich verstehe, daß, wenn man so- 
zialdemokratische Ideale hat, man sich diesem Ziele zu nähern wünscht. Ich 
verstehe aber nicht, daß andere, die nicht diese Ziele haben, dennoch die 
Wege dahin so fleißig zu bahnen suchen. (Sehr richtig! rechts.) 
Ich komme nun zu dem Antrage des Herrn Abg. Freiherrn von 
Huene. Ich halte den Antrag für dankenswert und danke dem Herrn Ab- 
geordneten dafür, daß er den Versuch gemacht hat, eine Einigung über 
dieses Gesetz herbeizuführen. (Bravo! rechts.) Ich bin nicht im stande, 
mich jetzt und hier im Namen der verbündeten Regierungen zu äußern; 
denn ihnen ist der Antrag zu derselben Zeit zugegangen wie Ihnen. Sie 
müssen Rückfrage in ihrer Heimat halten. Ich glaube, mich nicht zu irren, 
wenn ich sage, daß alle verbündeten Regierungen die Regierungsvorlage 
vorziehen würden; aber wir erkennen doch bereitwillig an, daß in dem An- 
trage des Herrn Abg. Freiherrn von Huene erleichternde Momente liegen, 
daß die Kürzungen so gewählt sind, daß sie den Zweck, den die verbündeten
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.