46 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 4.)
geglaubt, daß ich der Regierungsvorlage so weit entgegenkommen müsse, wie
es mit meinem Antrag geschehen ist; aber auf Grund sachlicher Erwägungen
bin ich zu einem anderen Resultat gekommen, als sich zuerst auf Grund
vorläufiger Kenntnisnahme herausgestellt hat. In § 1 ist durch meinen
Antrag gegenüber der Regierungsvorlage die Friedenspräsenzstärke herab-
gesetzt von 492,068 auf 479,229 Mann. Die Bedeutung der Sache beruht
darin, daß einmal die Zahl der Oekonomiehandwerker nicht nur bei den
Neuformationen, sondern bei den bisherigen bestehenden Formationen wesent-
lich herabgesetzt ist. Ich habe geglaubt, daß gerade dadurch nicht bloß eine
absolute Verminderung der Friedenspräsenzstärke, sondern auch ein soziales
Interesse gefördert wird, da die bisherige Einstellung eine höchst ungerechte
Mehrbelastung des Schneider- und Schuhmacherhandwerks bedeutet. Es ist
ferner in meinem Antrag in Aussicht genommen die Erhöhung der Be-
spannungsabteilungen für die Fußartillerie auf den hohen Etat zu unter-
lassen, ferner bei der Kavallerie alle Etatserhöhungen bei Seite zu lassen.
Bei der Feldartillerie ist in Aussicht genommen, bei den neuen Batterien
nur 4 Geschütze statt 6 einzustellen. Ich glaube also, daß es sich hierbei
um eine wesentliche Herabsetzung der Negierungsvorlage handelt, ohne da-
mit wesentlich den Zweck der Vorlage zu alterieren. Die neuen vierten
Bataillone habe ich mit der Bezeichnung Halbbataillone eingeführt. Ich
glaube, daß der Reichstag dadurch zum Ausdruck bringt, daß er nicht ge-
willt ist, wirklich volle Bataillone zu bewilligen. Artikel 2 schließt sich im
wesentlichen den Vorschlägen des Abg. Dr. Lieber in der Kommission an,
unter welchen alle gesetzlichen Bestimmungen untergebracht werden können.
In Unteroffiziermanquements dürfen Gemeine nicht verpflegt werden. Das
bringt eine Verminderung um 11,000 Mann für die ersten Jahre. Die
Bestimmung, daß die Mannschaften nach zwei Jahren zur Reserve entlassen
werden, habe ich dahin abgeändert, daß sie zu entlassen sind nach den Be-
stimmungen des Gesetzes. Sie werden damit nicht zur Disposition des
Truppenteils, sondern des Kaisers entlassen. Was die Uebergangsbestim-
mungen betrifft, so soll der dritte Jahrgang nicht im Oktober sofort ent-
lassen werden, sondern er muß unbedingt wenigstens bis zum Schluß des
Jahres bei der Fahne bleiben. Der finanzielle Effekt ist der, daß 9 Mil-
lionen auf 5 Jahre, 4 Millionen im ersten Jahre infolge der Unteroffizier-
manquements und der fehlenden 5000 Mann erspart werden. Diese Er-
sparnis von etwa 50 Millionen in 5 Jahren sollte man doch nicht als
etwas ganz Geringes hinstellen.
4. Mai. (Berlin: Abg.-Haus.) Eine konservativ-klerikale
Mehrheit lehnt die Forderungen des Kultusministers für Volks-
schulbauten und Verbesserung der Gehälter der Volksschul-
lehrer ab. Die „Kreuz-Zeitung“ motiviert das so:
Es sind höhere Erwägungen da, welche die Konservativen dazu nötigen,
die erwähnte Haltung einzunehmen und nicht nur gegen den Widerspruch
der Liberalen, sondern auch was ihnen in der That nicht leicht fallen kann,
gegen den des Kultusministers aufrecht zu erhalten. Wenn die Vorlage jetzt so
bewilligt würde, wie sie ist, müßte jeder Antrieb für ein neues Volksschul-
gesetz, welches wie das des Grafen Zedlitz aus dem Vollen gearbeitet wäre,
für die Regierung wie für die liberalen Minderheitsparteien schwinden oder
doch wesentlich abgeschwächt erscheinen; auch innerhab des Lehrerstandes selbst
würde das Interesse an einer grundsätzlichen Erledigung der Frage stark
nachlassen und alle Welt sich gern bescheiden, zu warten, bis etwa der
Liberalismus in Preußen wieder ans Ruder käme, um alsdann den „Jdeen“