Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 4.) 47
Eingang zu verschaffen, die man an dem Schulgesetzentwurf des Grafen
Zedlitz so schmerzlich vermißte. Wir wollen aber kein Volksschulgesetz, das
nicht auf dieser Grundlage steht, und wir sehen keine Veranlassung, den
Gegnern ihre ablehnende Haltung zu erleichtern, indem wir das ganze Ge-
biet seinem ganzen materiellen Teile nach gesetzlich ordnen helfen.
4. Mai. (Reichstag.) Fortsetzung der Militär-Debatte.
Abg. Richter (dfr.): Man hat ja 75% mehr taugliche Mann-
schaften vorgefunden als 1890 91, und man könnte somit nicht bloß um
80,000, sondern um 241,000 Mann die Jahrespräsenz erhöhen. Die Vor-
lage nimmt eben nur 25 % mehr an. Ich finde, die Musterungsbehörden
haben für den Zweck dieser Vorlage zu gut gearbeitet. Die Rede des Reichs-
kanzlers enthält allerdings keine einzige Zahl, den Rechenstift hat sie ver-
schmäht, darum aber paßte sie auf alle Militärvorlagen. Mit denselben
allgemeinen Redewendungen haben der frühere Reichskanzler und Vorgänger
des Kriegs-Ministers die Erhöhung um 30-, 40-, 50,000 Mann, auch das
Septennat gerechtfertigt. Mit dem Hinweis auf die Ehre, das Dasein und
die Zukunft des Landes könnte man auch die Verdoppelung und Verdrei-
fachung der Präsenz rechtfertigen. Nach den Worten des Reichskanzlers
könnte man fast glauben, als wenn wir für Kulturaufgaben Geldmittel in
Hülle und Fülle hätten, während es doch Thatsache ist, daß z. B. in Preußen
die geringsten Reformen im Eisenbahnwesen nicht ausgeführt werden,
weil die Militärlasten alle Mittel absorbieren. Es sind z. B. in Preußen
zweiundzwanzig Baugewerksschulen notwendig, aber nur elf vorhanden.
Jährlich müssen 16,000 Schüler zurückgewiesen werden, weil der preußische
Staat nicht die geringen Mittel auffinden kann, um elf neue Schulen ins
Leben zu rufen. Ferner hat der Ressort-Minister verfügt, die Zuschüsse für
das Fortbildungsschulwesen in Preußen in diesem Jahre um 10 % einzu-
schränken, weil die erforderlichen 44,000 M. im preußischen Staatshaushalt
nicht vorhanden sind. Nicht einmal eine halbe Million kann man finden,
um dem Richtermangel abzuhelfen. Die Wehrkraft eines Landes beruht
nicht bloß auf dem Produkt des Rechenexempels von ausgebildeten Soldaten
für den Kriegsfall, — sie beruht auf dem Produkt der gesamten materiellen
und ideellen Kräfte eines Volks. Ohne eine gewisse Schonung der Volks-
kräfte können wir in einem zukünftigen Kriege nicht das leisten, was not-
wendig ist. Der Reichskanzler hat dann eine besondere Einlage gemacht in
Bezug auf die freisinnige Partei. Er hat angedeutet, daß wir gewisser-
maßen durch unseren Widerstand das Programm in Bezug auf die zwei-
jährige Dienstzeit verleugnen. Als der Feldmarschall Moltke einmal sagte,
es sei ja gleichgültig, ob nach unserer Ansicht drei Mann zwei Jahre im
Frieden dienten oder nach seiner Ansicht zwei Mann drei Jahre, erwiderte
ich: in beiden Fällen sind es sechs Jahre, aber diese sechs Jahre, verteilt
auf drei Mann auf zwei Jahre, sind eine Schonung gegenüber der Ein-
stellung von zwei Mann auf drei Jahre. Diesem Standpunkt entspricht
unsere jetzige Haltung. Darum, weil wir die bisherige Präsenzstärke ver-
teilt auf eine größere Zahl von Mannschaften bei kürzerer Dienstzeit für
einen Vorzug erachten, sind wir bereit, die Mehrkosten zur Durchführung
der zweijährigen Dienstzeit zu bewilligen. Wir haben die zweijährige Dienst-
zeit nicht um einer militärischen Theorie willen verlangt, sondern im In-
teresse der Entlastung des Volks. In der Gestalt, wie sie sich jetzt repräsen-
tiert, führt sie zu einer Belastung des Volks. Für jedes Jahr, das er-
lassen wird, werden zwei Jahre dem Kasernenleben hinzugefügt. Die Be-
lastung des Volks ist nach dem Antrage Huene doppelt so stark wie die
Entlastung, die in dem Erwerbsleben eintritt durch Einführung der zwei-