48 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 4.)
jährigen Dienstzeit. Wollten wir diese Belastung acceptieren, so würden
wir geradezu unseren früheren Standpunkt vor dem Volke diskreditieren.
Wir würden die Empfindung hervorrufen: Man hat unter dem Namen der
Entlastung Jahr aus Jahr ein etwas begehrt, was sich jetzt in Wirklich-
keit als eine größere Belastung herausstellt! Unser Antrag will ermöglichen,
unter Innehaltung der Präsenzstärke die Zahl der Unteroffiziere und Kapitu-
lanten um etwa 8000 Mann zu erhöhen und die Rekrutenaushebung um etwa
25,000 Mann zu verstärken. Dazu sind wir bereit, die Ersatzreserve in ihrer bis-
herigen Einrichtung zu erhalten. Die Durchführung des Antrags Huene er-
fordert 55 Millionen Mehrausgaben dazu kommen die Mehrausgaben für er-
höhte Pensionen, die Anleihe zur Deckung des Extraordinariums und die An-
leihe für neue Kasernenbauten. Die 106 Millionen für neue Kasernenbauten
nach der Regierungsvorlage werden durch den Antrag Huene nur wenig ver-
mindert. Im übrigen sind noch 37,000,000 zur Kasernierung der schon jetzt vor-
handenen noch nicht kasernierten Truppen erforderlich. Wo soll das hinaus?
In Preußen schließt das Jahr 1891/92 mit einem Defizit von 45 Millionen
ab, 1892/93 jedenfalls nicht mit einem geringeren Defizit, und für das jetzt
begonnene Jahr 1893 94 ist das Defizit im Etat auf 58 Millionen veran-
schlagt. Eine solche Schnur von Defizits ist seit Menschengedenken im preußi-
schen Haushalt nicht dagewesen. Und dabei haben wir, zum Beispiel auf
dem Gebiet des gewerblichen Unterrichtswesens, eine Finanzwirtschaft, wie
sie knapper gar nicht gedacht werden kann. Der Eindruck, den die Ableh-
nung der Vorlage im Auslande machen würde, geht uns wohl nichts an.
Wir sollten mehr darauf sehen, welchen Eindruck die Sache im Inlande
macht. Es ist allerdings sehr bequem, sich an der Macht Deutschlands von
außen zu erfreuen, wenn man zu den Lasten desselben nichts beizutragen
braucht. Das Ansehen des deutschen Reichstags würde bei den Wählern
nicht erhöht werden, wenn der Antrag Huene zur Annahme gelangte. Bei
der ersten Lesung stand der Abg. Freiherr von Stumm allein mit einem
kleinen Häuflein seiner Parteigenossen. Seitdem hat sich nichts geändert,
die finanzielle Lage hat sich höchstens verschlechtert. Noch im Herbst wurde
der Antrag Bennigsen für unannehmbar erklärt von einer großen Mehrheit,
und jetzt soll der Antrag Huene annehmbar sein? Das wird man sich im
Volke nicht erklären können aus der Sache; da wird man andere Dinge da-
hinter vermuten. Der Abg. Freiherr von Huene selbst erklärte, daß er nie
geglaubt hätte, soweit in seinen Bewilligungen zu kommen. Er hat vor
dem Konflikt gewarnt. Was heißt denn das? Wenn der Reichstag von
seinem verfassungsmäßigen Recht Gebrauch macht, so hat eine Maßnahme
zu unterbleiben, die man beabsichtigt hat. Wenn man da vom Konflikt
spricht, so kann das nur bedeuten, daß Macht vor Recht gehen soll, daß die
Revolution von oben eingeführt wird. Ein Reichstag, der sich durch solche
Drohungen einschüchtern läßt, der auf sein Recht verzichtet, wäre nicht wert,
dieses Recht jemals besessen zu haben. Meine Freunde haben die Ueber-
zeugung, daß sie niemals patriotischer gehandelt haben als gerade in diesem
Augenblick, wenn sie den Antrag Huene ablehnen und sich damit die Auf-
gabe stellen, die militärischen Interessen zu vereinbaren mit der notwendigen
Schonung der VBolkskraft.
Reichskanzler Graf v. Caprivi antwortet und sagt zum
Schluß:
In Bezug auf eine Aeußerung, die ich gestern gethan habe, möchte
ich noch nachholen: ich habe gestern gesagt, wir würden uns auch vor-
behalten, die Konzessionen, die wir machen, wenn einmal Neuwahlen nicht
zu vermeiden sind, dann zurückzunehmen. Ich bin heute in der Lage, zu