Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 5.—6.) 51
nur um eine Wahlparole, ich habe aber keine Verpflichtung, meinen Patriotis-
mus gegenüber dem Reichskanzler zu verteidigen. Wie weit ich auch hinter
allen Herren vom Bundesratstische und von der rechten Seite sonst zurück-
stehen mag, an Patriotismus werde ich mich nicht übertreffen lassen. (Lachen
rechts.) Wenn wir uns wegen unseres Patriotismus verhöhnen, dann können
wir ja zu den alten Bismarck'schen Allüren zurückkehren, dann nennen wir
uns doch wieder Reichsfeinde und dann kann ja der alte Tanz, den wir
durch die Reichskanzlerschaft des Grafen Caprivi für beendet hielten, wieder
beginnen, und der Reichskanzler kann dabei die erste Fackel tragen.
Graf Caprivi hält in seiner Erwiderung an seiner Auf-
fassung fest und sagt u. a.:
Die Annahme des Antrags Graf Preysing würde unsern aktiven
Dienststand verschlechtern, unsern Beurlaubtenstand verschlechtern, das Zahlen-
verhältnis zwischen aktivem und Beurlaubtenstand im Kriegsfall verschlechtern,
den Uebergang in die Mobilmachung verlangsamen und dadurch die Zeit
verlängern, in der ganz Deutschland bei Ausbruch eines Krieges im wesent-
lichen wehrlos ist. Einen solchen Antrag anzunehmen, bin ich außer stande.
Ich habe, seit ich die Ehre habe, an dieser Stelle zu stehen, manchen An-
griff, manchen Tadel ausgehalten; ich habe das hingenommen, wie man
eben gutes und schlechtes Wetter hinnimmt. (Heiterkeit.) Aber mich dem
Tadel aussetzen vor Mit- und Nachwelt, daß ich einem Vorschlage das Wort
geredet hätte, von dem ich überzeugt bin: er schädigt Deutschland, er in-
volviert Gefahren für Deutschland, den Tadel möchte ich auf das entschie-
denste von mir fernhalten. Es würde mir schwer sein, wenn ich ihn je
hören oder gar glauben müßte, ihn verdient zu haben. Ich würde als
Staatsmann und als Soldat gewissenlos, pflichtvergessen handeln und ge-
handelt haben, wenn ich nicht meine ganze Kraft einsetzte für das, was ich
im Interesse des Deutschen Reichs für notwendig halte. (Bravo! rechts.)
Der Antrag Preysing-Lieber aber liegt in ganz entgegengesetzter Rich-
tung, und ebenso gewissenlos und pflichtvergessen würde ich handeln, wenn
ich nicht meine letzte Kraft einsetzte, um diesen Antrag zu bekämpfen.
Das vor dem Lande auszusprechen, ist mir Bedürfnis gewesen. (Leb-
haftes Bravo! rechts.)
v. Bennigsen erklärt, daß ein Teil seiner Freunde bereit sei, auch
für die ganze Vorlage zu stimmen.
Payer (südd. V.-P.) gegen die Vorlage.
v. Komierowski (Pole) dafür.
v. d. Decken (Welfe), Winterer (Elsässer) dagegen.
5. Mai. Herr Sigl im „Bayerischen Vaterland“ schreibt:
„Der nächste Krieg soll Preußen zum Alleinherrscher im Deutschen
Reiche machen, darum müssen wir Bayern Millionen an Geld und Hundert-
tausende des besten Menschenmaterials opfern. Darum hat dieser Zukunfts-
krieg für Bayern eine ganz besondere Bedeutung, er entscheidet über unser
Sein oder Nichtsein. Endigt dieser Krieg mit unserer Niederlage, dann
mag es wohl aus sein mit dem Deutschen Reich, der Sieger hat jedoch ein
großes Interesse daran, Bayern zu schonen. Geht jedoch Deutschland als
absoluter Sieger aus dem Kampfe hervor, wie im letzten Kriege — was
wird dann aus Bayern? Eine königlich preußische Provinz! Ein sieg-
reicher Krieg wäre für Bayern das — Ende!“
6. Mai. (Reichstag.) Fortsetzung.
Nach einer kurzen Debatte wird durch eine Vereinigung der
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