56 JHNas PVenische Reich und seine einjelnen Glieder. (Mai 10. u. 11.)
Land, einen kräftigen Bauern= und Handwerkerstand und damit die wesent-
lichsten Bedingungen für die Gesundheit und Stärke des Volkes zu erhalten.
An der Durchführung der erhabenen Ziele, welche die Botschaft unseres un-
vergeßlichen großen Kaisers Wilhelm I. dem deutschen Volke gestellt hat,
haben wir regen Anteil genommen. Wir erkennen indessen an, daß bei der
Ausführung der ergangenen sozialen Gesetzgebung Mängel hervorgetreten
sind, deren baldige Beseitigung angestrebt werden muß. Den Traditionen
unserer Partei entsprecheud werden wir unablässig bemüht sein, das Wohl
der Arbeiter nach jeder Richtung zu fördern. In diesem Sinne verlangen
wir auch wirksamen Schutz für den friedlichen und fleißigen Arbeiter gegen
die Vergewaltigung durch gewissenlose Peher und deren Anhang, wie wir
auch Schutz verlangen für den Arbeitgeber gegen frivole Ausstände. Wir
haben es stets als eine unserer vornehmsten Aufgaben erkannt, über alle
politischen und wirtschaftlichen Fragen eine Verständigung zwischen den
streng konservativen und den gemäßigt liberalen Anschauungen herbeizu-
führen, um hierdurch einen festen Zusammenschluß aller staaterhaltenden
Elemente den finstern Mächten gegenüber zu erreichen, welche den Ver-
nichtungskampf gegen Christentum, Monarchie, Familie und Besitz begonnen
haben. Nicht für die Anhänger unserer Partei bitten wir um die Stimmen
unserer Mitbürger. Wir wissen uns frei von engherzigen Fraktions=
bestrebungen. Unser Sinn ist gerichtet auf das Wohl des Vaterlandes,
nicht auf die Förderung einer Partei, welche doch nur den Zweck haben
darf, dem öffentlichen Wohle zu dienen. Es kommt vor allem darauf an,
patriotische Männer zu wählen, deren Blick nicht getrübt ist durch Partei-
rücksichten, sondern deren Herz warm schlägt für das Wohl und Gedeihen,
für den Ruhm und die Ehre des Vaterlandes! Was mit Strömen deutschen
Blutes in großer Zeit erworben ward unter der Führung unvergleichlicher
Staatsmänner und Heerführer, muß verteidigt werden mit der ganzen Kraft
des deutschen Volkes.
Der nationalliberale:
Der deutsche Reichstag ist aufgelöst. Wiederum, wie im Jahre 1887,
ist das deutsche Volk berufen, über die Erfordernisse der Sicherheit und
Machtstellung des Reichs zu entscheiden. Mit schweren Opfern ist das Reich
auf den blutigen Schlachtfeldern der Jahre 1870·71 erkämpft worden. Be-
gründet und ausgebaut durch den unvergeßlichen Kaiser Wilhelm I. und
die unvergleichliche Staatskunst des Fürsten Bismarck, ist es uns zur Er-
haltung und Pflege überantwortet. Gegenüber der von Jahr zu Jahr
wachsenden Heeresmacht Frankreichs und Rußlands mußten neue und große
Anforderungen an die Opferwilligkeit der Nation gestellt werden. Nicht
leichten Herzens sind die Vertreter unsrer Partei im Reichstag an die Be-
ratung der Militärvorlage herangetreten. Ihrer ernsten Verantwortung
eingedenk, haben sie eine Verständigung über das notwendige Maß der Be-
willigung angestrebt. Die Grundlage dafür war endlich mit Zustimmung
der verbünderen Regierungen gewonnen. Unter dem Banne engherzigen
Fraktionsgeistes fand sich jedoch aus den verschiedensten, nach ihren Grund-
anschauungen weit auseinander strebenden Parteien eine Mehrheit zusammen
in der Verneinung. Diese Mehrheit hat den verhängnisvollen Streit herauf-
beschworen. Sie hat neue Unsicherheit in unsre, der Ruhe und Stetigkeit
so dringend bedürfenden wirtschaftlichen Verhältnisse hereingetragen. Sie
hat die gedeihliche Entwicklung unfres Verfassungslebens aufs schwerste ge-
fährdet. Die großen, von den weitesten Kreisen des Volkes lange ersehnten
Vorteile der geplanten Heeresreform sind damit wieder in Frage gestellt.
Die zweijährige Dienstzeit sollte die persönliche Militärlast erleichtern, die