Das Veesche Reic und seine einzelnen Glieder. (Mai 10. u. 11.) 57
vollkommenere Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht, dieses ruhmreichen
Erbteils der Freiheitskriege, sollte sie gerechter und gleicher verteilen. Im
Falle des Krieges sollten die Jüngeren die erste Schlachtlinie bilden, die
Aelteren, die verheirateten Mannschaften, den zweiten Wall im Unabhängig-
keitskampf verteidigen. Die Vermehrung unfsrer Streitkräfte soll das Ueber-
gewicht der großen Militärstaaten gegen uns wieder wett machen, unserm
Kultur= und Wirtschaftsleben das unentbehrliche Gefühl der Sicherheit
dauernd erhalten. Das waren die Ziele der von der Reichstagsmehrheit
abgelehnten Vorlage! Gewiß, eine solche Reform erheischt bedeutende finan-
zielle Lasten. Aber es handelt sich um die Ehre und Machtstellung des
Reiches, um wirksamere Bürgschaften für den europäischen Frieden und,
wenn uns der Krieg aufgezwungen wird, für die Erringung des Sieges.
Es handelt sich um den Schutz der ehrlichen Arbeit in allen Gewerben.
Niemals haben wir es an uns fehlen lassen, wo die höchsten nationalen
Güter verteidigt werden mußten. Bleiben wir unfrer Vergangenheit treu!
Deutschland, inmitten zweier großen Militärstaaten, soll frei sein nach
außen, stark genug, um im Rahmen des Dreibundes als Friedenshort in
Europa sich ferner zu bewähren. Große Aufgaben sind auch im Innern
noch zu vollbringen. Seit ihrer Entstehung hat unfre Partei selbstlos,
in voller Unabhängigkeit, besonnen und mit reichem Erfolg für die na-
tionale Einheit, für verfassungsmäßige Freiheit, für verfassungsmäßiges
Recht gestritten. Sie wird ihrer nationalen Pflichten, ihrer liberalen Ziele
auch in dieser schweren Zeit eingedenk bleiben. Möge der gesunde Sinn
des Volkes den unheilvollen Streit um die Sicherheit des Landes zu glück-
licher Lösung bringen, damit unfre thätige Sorge sich der Kräftigung des
Reichsgedankens, der Reform der Reichsfinanzen, der Bewahrung und Festi-
gung bürgerlcher Ordnung und Freiheit, der Versöhnung der Gegensätze,
der Förderung des Wohles der weniger bemittelten Klassen dauernd und
ungehindert zuwenden kann! Insbesondere gilt es, die durch die neuere
wirtschaftliche Entwickelung vorzugsweise gefährdeten Mittelklassen in Stadt
und Land zu stärken, dem Handwerker= und Kaufmannsstand, wie der durch
die wachsende auswärtige Konkurrenz bedrängten Landwirtschaft zu Hilfe
zu kommen. Mit voller Entschlossenheit ist die revolutionäre Gefahr der
Gegenwart, namentlich die gewissenlose Verführung der Arbeiter zu be-
kämpfen. In diesem Kampfe müssen alle Freunde des inneren Friedens
fest zusammenstehen. Wohlan denn, thue jeder seine Schuldigkeit! Heute
handelt es sich nicht um den Vorteil einer Partei. Das Vaterland ruft
euch zur treuen Erfüllung eurer Bürgerpflicht. Auf zur Arbeit! Vor-
wärts zum Siege! Allezeit in unwandelbarer Treue zu Kaiser und Reich!
Der sozialdemokratische:
„Die Würfel sind gefallen. Wochen= und monatelang haben die
herrschenden Parteien hinter den Koulissen ihr Interessenspiel getrieben.
Die Furcht vor den Wählern hat schließlich die Mehrheit der Bourgeois-
vertreter verhindert, der Militärvorlage zuzustimmen, welche die auf den
Schultern des arbeitenden Volkes lastenden Gut= und Blutsteuern ins Un-
erträgliche zu steigern drohte. Mit 210 gegen 162 Stimmen wurde in
namentlicher Abstimmung der Kompromißantrag Huene abgelehnt, und
damit war auch die ganze Regierungsvorlage zu Falle gebracht. Die Ant-
wort der Regierung war die sofortige Auflösung des Reichstages. Und
diese Antwort richtet sich unmittelbar gegen das Volk, dessen Willen der
Reichstag nur gezwungen Ausdruck gab. An euch, Parteigenossen, Wähler,
ist es nun, dem Willen der Regierung euren Willen, den Volkswillen ent-
gegenzusetzen. Die Parteivertreter sind in diesem Kampf unserm Programm