60 Das Penische Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 10. u. 11.)
An alle Berufsgenossen, an alle Freunde unseres Gewerbes, an alle, welchen
des Vaterlandes dauernde Blüte höher steht, als öde Parteitheorien, richten
wir deshalb die Aufforderung, an die Wahlurne zu treten und Männer
zu wählen, welche fest entschlossen sind, für unsere berechtigten Forderungen
einzutreten.
Wir fordern vor allen Dingen: 1. Erhaltung der jetzt bestehenden
landwirtschaftlichen Zölle, Ablehnung aller Handelsverträge, welche dieselben
herabzusetzen bestimmt find; 2. Sperrung unfrer Grenzen gegen die Ein-
fuhr von Vieh aus verseuchten Ländern; 3. Entschädigung für die Verluste,
welche die Landwirtschaft durch die von ihr nicht verschuldeten Verheerungen
der Maul= und Klauenseuche erleidet; 4. Beschränkung des Börsenspiels mit
den wichtigsten Volksnahrungsmitteln; 5. Vereinfachung der Unfallversiche-
rung, des Alters= und Invaliditätsgesetzes in Bezug auf Verbilligung der
Verwaltung und den Markenzwang; 6. Klärung und internationale Re-
gelung der Währungsfrage.
Zum erstenmal treten wir Landwirte als geschlossener, geeinter Stand
in die Wahlbewegung. Schon heute sieht man sich genötigt mit uns zu
rechnen. Laßt uns zeigen, daß wir eine Macht bilden und daß wir uns
dessen bewußt sind. Dann wird man uns die unserm Gewerbe gebührende
Rücksichtnahme nicht länger verweigern können. Wir wollen keine einseitige
Vertretung oder Bevorzugung der Landwirtschaft, nur zu ihrem Recht wollen
wir ihr verhelfen. Stets werden wir dessen eingedenk sein, daß des Vater-
landes Macht und Größe über alles geht, und dieselben nur erhalten werden
können, wenn wir treu zu Kaiser und Reich stehen, wenn wir alle die-
jenigen Stände in ihrer Grundlage schützen, auf deren Blühen und Ge-
deihen unfre Stärke beruht: Landwirtschaft, Handwerk, Industrie und Handel.
Nur bei einer weisen und gerechten Fürsorge für die Lebensbedürfnisse dieser
produktiven Stände, nur bei Erhaltung eines gesunden und starken Mittel-
standes, insonderheit der Bauern und der Handwerker, kann unser Vater-
land den zersetzenden Bestrebungen der Feinde jeder staatlichen und sozialen
Ordnung im Innern, dem Drohen feindlicher Nachbarn von außen mit
Erfolg die Spitze bieten. Wir sehen eine Forderung der Gerechtigkeit und
Notwendigkeit in der genügenden Fürsorge für die Beamten, in der sozialen
Gesetzgebung zum Wohl unfrer Arbeiter, aber wir wollen diejenigen Stände
leistungsfähig erhalten, welche die Kosten dieser Fürsorge zu tragen haben.
Auch unfre Arbeiter müssen die Wahrheit des Wortes erkennen, daß billiges
Brot nichts nützt, wenn es an Arbeit fehlt.
Die deutschen Landwirte haben noch niemals ein Opfer gescheut,
wenn dasselbe für des Vaterlandes Macht und Größe notwendig war. Sie
haben den Nachweis nicht erst zu erbringen, daß sie es stets für ihre heiligste
Pflicht halten werden, die feste Stütze des Vaterlandes und der Reichs-
regierung zu sein; aber wer Opfer bringen soll, muß etwas zu opfern
haben, und die deutsche Landwirtschaft ist ohne ihre Schuld an der äußer-
sten Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angelangt. Unfre erste Pflicht ist es
deshalb, Männer zu wählen, welche Verständnis für die großen wirtschaft-
lichen Fragen unsrer Zeit haben und den ernsten Willen, ohne Rücksicht
auf Fraktionsinteressen, aber auch ohne Schen vor der Regierung in einer
zu diesem Zweck zu bildenden wirtschaftlichen Vereinigung für eine nach-
haltige Hebung unfres schwer bedrohten Gewerbes einzutreten. Sache der
Reichsregierung ist es, den unzweideutigen Beweis zu liefern, daß sie ernst-
haft gewillt ist, unsern Beschwerden schnelle und gründliche Abhilfe zu
schaffen. Nicht mit schönen Worten, nur durch entscheidende Thaten wird
es ihr gelingen, das in den weitesten Kreisen des Volkes durch die Gesetz-
gebung der letzten Jahre schwer erschütterte Vertrauen wieder herzustellen.