Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Sept. 23.) 153
wie sie mir vor acht Tagen von unseren Posener Landsleuten zu teil wurde
und wie ich sie aus dem Westen und Süden Deutschlands fast ausnahmslos
erfahren habe. Es ist für mich erhebend, zugleich auch etwas beschämend,
daß meine Leistungen eine so hohe Anerkennung finden; ich habe nichts
gethan als meine Schuldigkeit im Dienste eines Herrn, dem ich gerne diente
und mit dem mich das Gefühl gegenseitiger Treue verband.
Es sind acht Tage her, daß unsere Landsleute mich an derselben
Stelle hier besuchten, und wir haben seitdem Gelegenheit, in der deutschen
und in der polnischen Presse mannigfache Aeußerungen unserer Freunde
und unserer Feinde über diesen Vorgang zu lesen. Ich ganzen kann ich
wohl sagen — verzeihen Sie, wenn ich mich bedecke, meine Damen, ich bin
noch nicht ganz so gesund, wie ich gern sein möchte, und wenn die Herren
(Nein, nein!) dies auch thun wollten, so würde ich mich berechtigter fühlen
— es ist mir eine Freude gewesen, zu sehen, daß die meisten Aeußerungen
in der deutschen Presse, auch selbst von Seiten her, bei denen ich sonst
nicht immer Wohlwollen finde, doch in dieser unserer Begegnung von vor
acht Tagen einen Ausbruch nationaler Gesinnung erkannt haben, gegen den
das Uebelwollen der Parteiunterschiede nicht Stand hielt, sondern sie haben
sich unbedingt dazu bekannt. Die polnische Presse natürlich nicht, sie drückte
bei dieser Gelegenheit in erster Linie ihre Verwunderung aus, daß ich mich
nicht stärker ausgedrückt hätte heute vor acht Tagen (Heiterkeit), mit an-
deren Worten, daß ich mich gegen die Bestrebungen des polnischen Junker-
tums nicht gröber ausgesprochen habe (lebhafte Heiterkeit); sie haben also
doch das Gefühl, daß das zu erwarten gewesen wäre (Sehr gut! Beifall).
Es ist das schlechte Gewissen, das aus ihnen spricht; sie waren auf schärfere
Kritik noch gefaßt, ein Bewußtsein ihrer eigenen Thaten, die sie kürzlich
in Lemberg bethätigt und ausgesprochen haben.
Die polnische Szlachta — ich beschränke meine Kritik auf den pol-
pischen Adel — hat mit der Sozialdemokratie das gemein, daß sie ihre
letzten Ziele nicht offen darlegt, aber es ist doch offenbar wieder ein Unter-
schied; die Sozialdemokratie verschweigt sie, weil sie sie wirklich nicht kennt
und nicht weiß, was sie darüber sagen soll, die Polen wissen es aber ganz
genau und können doch nicht dicht halten; das klingt überall heraus, jetzt
neuerdings in Lemberg und sonst auch bei uns in Posen schwebt ihnen
immer vor die Wiederherstellung der alten polnischen Adelsrepublik in einer
Ausdehnung vom Schwarzen Meere bis zum Baltischen Meere, 33 Millionen,
das ist ihnen ganz geläufig, und wenn es auch einstweilen nur kleine An-
fänge sind von einem Pufferstaate, wie sie es nennen und mit dessen Even-
tualität sich manche deutsche Polenfreunde befreunden. Also entweder ein
polnisches Königreich oder eine Republik, wie die alte Bezeichnung lautet,
bestehend aus dem heutigen Kongreßpolen mit Warschau als Hauptstadt
und Lemberg als Zubehör. Ich weiß zwar nicht, wie auch diese geringere
und anfängliche Etappe für ein Großpolen erreicht werden sollte ohne einen
vollständigen Zusammenbruch aller europäischen Verhältnisse. Ich will mich
in das Wie nicht vertiefen, ebensowenig wie die Polen sich darüber klar
sind, wie dies gemacht werden soll. Aber nehmen wir einmal an, daß es
ohne große europäische Konvulsionen möglich wäre, ein vergrößertes Herzog-
tum Warschau, ein Königreich Polen mit Warschau und Lemberg als
Hauptstädten hinzustellen — was wäre dann für uns die Folge davon?
Ich will garnicht sagen für Oesterreich. Es wäre ein Pfahl im Fleisch
für Oesterreich und vor allen Dingen eine Verdeckung unserer neuen und,
wie ich hoffe, dauernden Bundesgenossenschaft mit Oesterreich, wenn unter
österreichischer Aegide ein solches neues Kongreßpolen geschaffen werden
sollte. Die Schwierigkeiten der österreichisch-ungarischen Monarchie würden