Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 29.—31.) 37
Nun, es ist mir recht erwünscht, daß ich hier ein anderes Dokument für
die Lage der Landwirtschaft beibringen kann, was nicht amtlich ist, meine
Herren, was aber vielleicht noch viel drastischer ist und von einem Manne
ausgeht, dessen persönliche Zuverlässigkeit mir bekannt ist, und der, wenn
er hier in diesem Hause säße, auf der linken Seite des Hauses sitzen würde.
Dieser Herr hat in dem Kreise, in dem er lebt, zusammengestellt das Schick-
sal der 126 selbständigen Grundbesitzer, die in seinem Kreise leben, und
zwar seit dem Jahre 1881 — es ist ein östlicher Kreis der Monarchie.
Er stellt fest, daß von diesen 126 Besitzern seit dem Jahre 1881, also seit
12 Jahren, 42 durch Zwangsverkauf vom Grunde getrieben sind, 9 stehen
kurz vor diesem Ereignis, 27 haben sich der Entscheidung durch Verkauf
entzogen. Auf diesen Passus weise ich namentlich hin, weil man sehr ein-
fach auf die niedrige Subhastationsstatistik verweist, während so viele Leute
verkaufen, ehe sie zur Subhaftation kommen, weil sich Banken finden, die
ihr Kapital retten wollen und Strohmänner auf das Gut setzen. 39 ferner
haben das Gut der Familie bisher erhalten, 6 kommen als Standesherren
oder Majoratsbesitzer nicht in Frage, 3 sind vorwärts gekommen. In Pro-
zenten ausgedrückt: 34 pCt. sind gefallen, 7 stehen dicht vor dem Fall, 21
blieben unentschieden, 30,5 haben sich erhalten und kommen nicht in Frage,
2,5 kamen vorwärts. (Hört, hört! rechts.) Meine Herren, ich glaube, das
ist ein Dokument, das doch einmal ein klassisches Beispiel von der Lage
der Landwirtschaft im Reiche gibt, und ich glaube, meine Herren, unter
solchen Verhältnissen kann man nicht die Forderung erheben, daß ein land-
wirtschaftliches Produkt, das bereits über 200 pCt. seines Wertes als Steuer
trägt, noch weiter besteuert werden soll, während man andere Luxusartikel,
wie Tabak, die 16 pCt. vom Werte als Steuer tragen, nicht höher besteuern
will. Das scheint mir eine ausgleichende Gerechtigkeit nicht zu sein. Meine
Herren, es ist uns ja auch eine Inseratensteuer vorgehalten worden. Die
verbündeten Regierungen, meine Herren, würden ja einem solchen Gedanken
nicht unsympathisch gegenüberstehen; aber ich bemerke doch, daß, wie im
Herbst des vorigen Jahres nach der Frankfurter Konferenz auch nur der
Gedanke einer Inseratensteuer durchsickerte, eigentlich die gesamte Presse von
rechts bis links einstimmig Front gegen diesen Gedanken gemacht hat. Ich
habe bei dieser Gelegenheit in einer Zeitung, die sich „Die Reklame“ nennt,
für die Berechtigung der Inseratensteuer ein ganz interessantes Belegmate-
rial gefunden. Es ist nämlich nachgewiesen worden, daß eine Firma
1206 mal inseriert hat und jedes Inserat von dieser großen Reklamefirma
durchschnittlich nur 96 ct. gekostet hat. Ich glaube, meine Herren, wenn
man diese große Firma zu einer mäßigen Inseratensteuer heranzöge, so
wäre das eine Steuer, die sie sehr wohl tragen könnte und sie auf die Ge-
schäftsunkosten legte und wieder abwälzte. Aber wenn wir mit der In-
seratensteuer wirklich kämen, dann würde man uns einwenden und entgegen-
halten: die arme Witwe, die ein Zimmer vermieten will, das Dienstmäd-
chen, das eine Stellung sucht, — und damit würde man auch die Inseraten-
steuer unmöglich machen. Ich glaube also, meine Herren, auf die Annahme
einer Inseratensteuer würde in diesem Hause nicht zu rechnen sein. Es ist
wieder uns auch ganz in der Ferne bei Gelegenheit der Debatte eine Biersteuer
gezeigt worden, und ich habe erklärt: wenn aus dem Haus solche Anträge
kommen, würden die verbündeten Regierungen gewiß auch ein solches Projekt
in Erwägung ziehen. Ich glaube nur, meine Herren, wir würden auch
da wieder einen sehr heftigen Gegner haben, das wären die Herren aus
Bayern und dieselben würden, wenn sie sich überhaupt sagen, das Reich
kann gar nicht umhin, sich neue Einnahmequellen zu schaffen, ob wir ein
Finanzreformgesetz machen oder nicht, — bei ruhiger Erwägung zu dem