128 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai.)
„Allergnädigster König!
Die gnädige und wohlwollende Weise, in welcher Euer Majestät
geruht haben, mich bei meiner letzten Anwesenheit in Berlin zu empfangen,
hat mich mit Freude und Dankbarkeit erfüllt. Um so schmerzlicher haben mich
die verschiedenen Angriffe berührt, die gleich darauf von einem Teile der
Presse gegen mich erfolgt sind, denn ich mußte daraus entnehmen, daß
manche anderweitige Aeußerungen von mir mißverstanden worden seien.
Es würde mich aber auf das Tiefste schmerzen, wenn infolge eines solchen
Mißverständnisses bei Euer Majestät, in welchem ich den mächtigsten Fürsten
des nördlichen Europas, wie den Schützer und Hort meiner Familie ver-
ehre, auch nur der leiseste Zweifel an meinen Gesinnungen entstanden sein
könnte. Unter diesen Umständen fühle ich mich gedrungen, um die Erlaubnis
zu bitten, mich ganz offen und rückhaltslos gegen Euer Majestät aus-
sprechen zu dürfen. Bei meiner Anwesenheit in Berlin habe ich mir ge-
stattet, Euer Majestät auszudrücken, daß ich mich durch mein unterm 29. April
Allerhöchst Ihnen gegebenes Versprechen unter allen Umständen für gebun-
den erachte und stets erachten werde, wie sich das von selbst versteht, da ich
dasselbe unter keiner Bedingung gestellt habe. Dasselbe habe ich Seiner
Königlichen Hoheit dem Kronprinzen und Herrn v. Bismarck gegenüber
mehrfach hervorgehoben. Ich habe mich demgemäß auch bereit erklärt, eine
zweiseitige Aufzeichnung der verschiedenen Punkte in Gemeinschaft mit Seiner
Königlichen Hoheit dem Kronprinzen zu vollziehen. Ich habe indeß Herrn
v. Bismarck auf die großen Gefahren aufmerksam gemacht, welche das Be-
kanntwerden solcher Unterhandlungen in einem Stadium in sich schließen
würde, welches der Rivalität der übrigen Mächte noch so großen Spiel=
raum gewährt. Um nicht die Aufmerksamkeit auf diese Unterhandlungen
zu leiten, habe ich namentlich den Wunsch ausgesprochen, meinen Aufent-
halt in Berlin möglichst abkürzen zu dürfen. Euer Majestät haben ge-
ruht, Allerhöchst sich hiermit im allgemeinen einverstanden zu erklären.
Geleitet von der Rücksicht, daß die Eifersucht der übrigen Mächte auf
Preußen der Sache der Herzogtümer und dadurch auch Preußens den empfind-
lichsten Schaden thun kann, wünschte ich möglichst reserviert zu bleiben.
Ich glaube es gegen Euer Majestät weder früher noch jetzt gewesen zu sein.
Sollte ich es vielleicht zu sehr gegen Herrn v. Bismarck gewesen sein, so
ist das durch die Ansicht desselben hervorgerufen worden, daß Geheimhaltung
nicht wesentlich notwendig sei. Was ich Euer Majestät am 29. April ver-
sprach, verstehe ich im weitesten Sinne, weil jenes Versprechen nicht nur
aus einem Gefühle der Dankbarkeit für das, was Preußen gethan hat,
hervorging, sondern das der Erkenntnis der Bedürfnisse der Herzogtümer;
ich verstehe es in einem weiteren Sinne, als es wohl überall in Berlin
geschieht, und meine, daß die Marinekonvention Preußen nicht nur eine
Verstärkung an Seemannschaften, sondern auch eine wirkliche Verstärkung
seiner ganzen Seewehr geben muß.
Wenn ich Herrn v. Bismarck recht verstanden habe, würden Euer
Majestät in Betreff des großen von Eckernförde nach Brunsbüttel bestimmten
Kanals 1. ein Aufsichtsrecht und 2. Befestigungen an den Endpunkten
wünschen. — Daß, wenn der Kanal auch nur an einem Endpunkte Marine-=
station sein soll, militärische Rücksichten ein Aufsichtsrecht für Preußen er-
fordern, betrachte ich als natürlich. Ebenso bin ich mit Gebietsabtretungen
zur Befestigung der Endpunkte einverstanden. In dieser Beziehung gestatte
ich mir zwei Bemerkungen: 1. Ich möchte glauben, daß es im Interesse
Preußens und der Herzogtümer läge, diese Befestigungen mit dem Küsten-
verteidigungssystem des Bundes in Verbindung zu bringen. Dadurch würde
es möglich, eine unberechtigte Rivalität fern zu halten, würde aber keines-