Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai.) 129
wegs ausgeschlossen sein, daß die Abtretungen, bis das Bundesverteidigungs-
system fertig ist, sofort an Preußen übergehen. 2. Fallen diese Abtretungen
unter den militärischen Gesichtspunkt, und ich möchte glauben, daß, insofern
Städte darunter begriffen sind, es in betreff der zivilen Verhältnisse wie
bei den Bundesfestungen gehalten werden könnte. Ich mache hierüber Euer
Majestät Allerhöchste Person zum Schiedsrichter und erkläre mich ausdrück-
lich auch zu jenen Abtretungen bereit, wenn Euer Majestät jenen Ansichten
Ihren Beifall nicht schenken sollten. Was die Demarkationslinie betrifft,
so kennen Euer Majestät durch Seine Königliche Hoheit den Kronprinzen
schon meine Ansicht. In meiner nach allen Seiten hin gefährdeten Stellung
habe ich in dieser Hinsicht auf die Stimmung der Bevölkerung sehr Rück-
sicht zu nehmen. Ich kann mich, so lange alles schwebt, öffentlich nicht
für eine bestimmte Linie aussprechen, nur für das Prinzip der Befragung
der Bevölkerung. Euer Majestät gegenüber habe ich natürlich auch in dieser
Hinsicht kein Bedenken.
Allergnädigster König!
Ich wage zu hoffen, daß Euer Majestät aus Vorstehendem die Ueber-
zeugung gewonnen haben, daß nicht partikularistische und selbstsüchtige
Tendenzen, nicht Sympathien für andere Mächte mich leiten. Meine Ver-
sprechungen vom 29. April habe ich Euer Majestät mit freudigem Herzen
erteilt, weil ich die volle Ueberzeugung habe, daß jedes Band, welches die
Herzogtümer, wie auch die übrigen deutschen Staaten an Preußen knüpft,
zum Heile dieser Staaten wie ganz Deutschlands gereichen wird. Die Er-
weiterung des Einflusses Preußen wird nur dazu beitragen, die Macht
Deutschlands zu vermehren und die Einzelstaaten sicher zu stellen. Dieser
Ueberzeugung, welche ich von jeher besessen habe, werde ich auch in Zu-
kunft stets treu bleiben. Nur könnte ich Preußen und den Herzogtümern
nicht stärker schaden, als wenn ich diese Gesinnung jetzt proklamierte und
es verlautete, daß ich mich in Betreff der Machterweiterung Preußens
gegenüber gebunden habe. Das ist der Grund, weshalb ich jedem andern
als Euer Majestät gegenüber eine gewisse Reserve über diese meine Ge-
finnung beobachten muß. Zu Euer Majestät aber habe ich das unbegrenzte
Vertrauen, daß ich mich Allerhöchstihnen gegenüber ganz offen aussprechen
darf, sowie daß Euer Majestät in Allerhöchstihrem gerechten Sinne und
Ihrer patriotischen Einsicht nichts von mir fordern werden, welches mir zu
leisten unmöglich sein wird. Nur noch einen Punkt darf ich zur Sprache
bringen. Es betrifft die Zustimmung der Stände, die zu Gebietsabtretungen
und ähnlichem wohl überall in Europa notwendig ist. Ich bin sicher, daß
ich die Einwilligung der Stände zu demjenigen, was ich am 29. April
versprach — soweit sie überhaupt erforderlich ist — erhalten werde; ich
glaube, daß dasselbe in Betreff des in diesem Schreiben Angebotenen der
Fall sein wird. Jedenfalls werde ich als ehrlicher Mann hierin handeln,
wie ich mein ganzes Leben gehandelt habe. Ich kann Euer Majestät keinen
besseren Beweis meines vollen Ernstes geben, als durch die Erklärung, daß,
wenn meine Stände mit irgend einem der von mir versprochenen Punkte
nicht einverstanden erklären sollten, ich meinerseits die Regierung nieder-
legen werde. Ich erlaube mir hierbei darauf aufmerksam zu machen, daß
ich in meinem Schreiben vom 29. April schon bemerkt habe, daß ich, was
den Anschluß an den Zollverein betrifft, in einem Falle die Zustimmung
der Stände nicht zu verbürgen vermag und daher diesen Fall ausnehme.
Genehmigen Euer Majestät mir nur noch einen Wunsch Allerhöchst Ihnen
unterthänigst zu Füßen zu legen. Dem Anscheine nach steht der Wieder-
ausbruch des Krieges in nächster Zeit bevor. Ich, wie alle Schleswig-
Holsteiner, empfinden im Selbstbewußtsein dessen was wir früher geleistet
Europ. Geschichtskalender. Bd. XXXVI. 9