10 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 14./15.)
Erfahrung lehrt, daß, während gerade diese Elemente am meisten geeignet
sind, Ansprüche an die Vertretung zu stellen, zu reklamieren und zu raison-
nieren, umgekehrt die Elemente am bescheidensten sind, die in erster Reihe
Anspruch auf wirksamen Schutz haben. Das sind die wirklichen Pioniere
deutschen Erwerbsfleißes, deutschen Handels und deutscher Wissenschaft, die
hinausgehen, um dort in ernster Arbeit, in friedlichem Dasein in steter
Fühlung mit der Heimat zu arbeiten, indem sie in ihren Interessen zu-
gleich den heimatlichen Interessen dienstbar sind, und diese Elemente, meine
Herren, haben gar keine Freude daran, wenn der deutsche Vertreter bei der
dortigen Regierung fortwährend queruliert und reklamiert. Im Gegenteil,
sie betrachten es nicht als eine Förderung, sondern als eine Schädigung
ihrer Interessen, wenn unbedeutende Vorgänge, Vorgänge, die mit deutschen
Interessen gar nichts zu thun haben, zu internationalen Fragen aufgebauscht
werden, und sie dann an ihrem eigenen Leibe die Folgen davon zu spüren
haben. Diese Auffassung wird viefach geteilt von denjenigen Leuten im
Inlande, die dort Interessen haben, und ich meine, wir dürfen doch über
dem Schutz der Deutschen im Auslande die Interessen der Deutschen im
Inlande auch nicht vergessen. (Sehr wahr!) Die Mannigfaltigkeit der
Fragen, die Möglichkeit der Kollision von Interessen — ich meine, das
alles enthält doch eine recht ernste Mahnung, die Klagen, die aus dem Aus-
lande zu uns herüberschallen über den angeblich mangelnden Schutz, mit
einiger Zurückhaltung zu beobachten, zunächst der „audiatur et altera pars“
Raum zu geben und sich zu erinnern, daß, wie im Inlande derjenige, der
einen Prozeß verloren hat, geneigt ist, zu klagen, daß überhaupt kein Recht
im Lande mehr sei, auch derjenige, der mit seiner Reklamation abgewiesen
ist, geneigt ist, einen Artikel darüber zu schreiben, daß die Deutschen im
Auslande vollständig schutzlos seien (sehr wahr!), und, wenn der Herr Vor-
redner auf die vielen Klagen hinweist, die est vom Ausland zu uns
herüberkommen und daraus argumentiert, daß es früher dort anders gewesen
sei, so vergißt er anzuführen, daß in neuester Zeit im Inlande sich gewisse
Sammelstellen etabliert haben, in denen alle derartigen Klagen ohne irgend
welchen Widerwillen angenommen werden. (Heiterkeit.) Der Herr Vor-
redner wird es mir nicht übel nehmen, wenn ich ihm anheimstelle, die ein-
zelnen Klagen doch sorgfältig zu prüfen; denn jeder Vertreter, der einmal
im Auslande war, bestätigt, daß an die Vertreter mitunter die allerun-
glaublichsten Ansprüche gestellt werden. Also Unzufriedene in der Beziehung
hat es von jeher gegeben, und nachdem wir außer stande sind, im Inlande
allgemeine Zufriedenheit zu schaffen, so glaube ich, können wir nicht dem
Ideal nachstreben, alle Deutschen, die im Auslande sich aufhalten, zufrieden
zu machen. Der Herr Vorredner hat einen Teil der in seinen Augen un-
günstigen Verhältuisse im Auslande auf die Worte zurückgeführt, die ich
gelegentlich des Columbischen Handelsvertrages hier gesprochen habe. Da
habe ich gesagt: wer in das Ausland geht, muß die Institutionen in dem
Lande, wo er sich niederläßt, nehmen, wie sie sind, und er muß das Risiko
tragen, das sich aus diesen Institutionen ergibt. Das soll nun wie ein
Lauffeuer durch ganz Zentral= und Südamerika gegangen sein und den
dortigen Deutschen Schaden gebracht haben. Ich erwidere dem Herrn Vor-
redner: der Satz ist schon seit 20, 30 Jahren juris publici: kein Geringerer
als der Fürst Bismarck hat sich in ganz ähnlicher Weise im Jahre 1871
ausgesprochen, und ich halte es geradezu für eine Pflicht, gegenüber den
übertriebenen Ansprüchen, die jetzt gestellt werden, das nochmals ganz genau
festzustellen. Ich will es negativ fassen: es ist ein Irrtum, zu glauben,
daß der Deutsche, der sich in das Ausland begiebt, dort jede beliebige
Thätigkeit unter dem vollen Schutz der heimischen Institutionen und Macht-