Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Elfter Jahrgang. 1895. (36)

16 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 14./15.) 
Ich hoffe, daß die Deutschen in Salvador sich an ihren Landsleuten in 
Costa Rica für die Zukunft ein Beispiel nehmen. (Sehr gut !) Und nun 
der Fall Ruhnke. Ich hätte dringend gewünscht, daß es vermieden worden 
wäre, diese unglückliche Angelegenheit in die Oeffentlichkeit zu ziehen. Ich 
meine, man konnte den Kampf gegen den Gesandten Peyer führen, ohne 
daß man den Verwandten dieses Herrn den Schmerz anthat, die Handlungen 
dieses Mannes, der im Beginn einer Geistesstörung Dinge gethan hat, die 
er sicherlich bei gesundem Verstande nicht gethan haben würde, vor das Licht der 
Oeffentlichkeit zu ziehen. Der Herr Vorredner hat die Rechtsfrage behan- 
delt, ob Ruhnke noch deutscher Staatsangehöriger gewesen sei. Die Frage 
ist ganz zweifellos zu bejahen. Aber es ist doch klar, daß, wenn Jemand 
in fremde Kriegsdienste tritt und damit die fremde Staatsangehörigkeit er- 
wirbt, er in dem Maße, wie er dadurch freiwillig dem anderen Staate 
Rechte über seine Person einräumt, das Recht Deutschlands und seiner 
Vertreter sich beschränkt. Wenn dann hier verlangt wird, daß Herr Peyer 
gegen die Gefangennahme und Bestrafung des Ruhnke amtlich eintrete, ja, 
wohin sollte denn das führen, wenn wir anfangen, die zahllosen Deutschen, 
die in allen möglichen Ländern der Welt Kriegsdienste genommen haben, 
gegen die Sävitien ihrer militärischen Vorgesetzten zu schützen? Das ist 
vollkommen unmöglich. Was geschehen konnte, ist für den unglücklichen 
Ruhnke geschehen; die deutsche Kolonie, an der Spitze der Konsul Augspurg, 
hat sich beim Präsidenten für ihn verwendet, er wurde auf diese Verwendung 
hin begnadigt, ich glaube, aus dem Bericht des Konsuls Augspurg, den 
ich veröffentlicht habe, ergiebt sich, daß in der That von deutscher Seite 
alles Das geschehen ist, was überhaupt geschehen konnte. Nur noch zwei 
Worte über Brasilien. Der Herr Vorredner hat richtig dargelegt, daß im 
Süden von Brasilien mehr als 200 000 deutschredende Kolonisten sich be- 
finden. Das ist zuzugeben; aber eine verschwindend kleine Anzahl dieser 
Kolonisten hat heute noch die deutsche Staatsangehörigkeit; man kann darüber 
streiten, ob es Hunderte oder Tausende sind. Dazu kommt, daß ein großer 
Teil dieser Kolonisten in ruhigen Zeiten es versäumte, sich in die Matrikel 
des Konsulats einschreiben zu lassen, und dann, wenn der Moment kommt, 
wo sie des Schutzes des Deutschen Reiches zu bedürfen glauben, sie außer stande 
sind, ihre deutsche Staatsangehörigkeit nachzuweisen. Wir haben über diese 
Verhältnisse in Brasilien wiederholt die eingehendsten Berichte erholt und 
die dortigen Konsuln sagen übereinstimmend, daß, soweit es irgend möglich 
sei, alles geschehe, daß aber in vielen Fällen ein Einschreiten aus dem 
Grunde ausgeschlossen sei, weil sie der brasilianischen Regierung gegenüber 
den Beweis nicht liefern können, daß die Leute die deutsche Staatsangehörig- 
keit nicht verloren haben, somit die Voraussetzung eines Einspruchs fehlt. 
Denn sowie die deutsche Staatsangehörigkeit verloren ist, sind die Leute 
lediglich brasilianische Staatsangehörige. Nun noch zwei Wörter über die 
Angelegenheit des Handelsvertrages mit Guatemala. Es ist richtig, daß 
1892 kraft der Mac Kinleybill ein Reziprozitätsvertrag geschlossen wurde 
zwischen den Vereinigten Staaten und Guatemala und andern Staaten, in 
denen die letzteren gegen freie Einfuhr von Zucker ect. die Konzession machten, 
daß gewisse amerikanische Produkte zu einem niedrigeren Zoll bei ihnen 
eingeführt werden dürften, als diejenigen europäischer Staaten. Guatemala 
hat, nachdem dieser Vertrag ins Leben getreten war, uns und allen europäi- 
schen Staaten gegenüber, mit denen es auf dem vertragsmäßigen Fuße der 
Meistbegünstigung stand, nunmehr die bekannte amerikanische Auffassung der 
Meistbegünstigung geltend gemacht. Wir haben sofort nachdrücklich prote- 
stiert, das Gleiche haben andere gethau, und inzwischen ist die ganze Sache 
dadurch erledigt, daß, nachdem Präsident Cleveland ans Ruder kam, die
	        
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