Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Elfter Jahrgang. 1895. (36)

18    Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder   ( Januar 15. )  
unsere ideellen Interessen, können durch alle diplomatische Geschicklichkeit 
unserer Vertreter nicht paralysiert werden! Auf der anderen Seite darf 
ich hinweisen auf die großen Vorteile, welche das Eintreten unserer Kreuzer- 
flotte bei den jüngsten Bürgerkriegen in Chile und Brasilien für uns ge- 
habt hat. Wir haben es ausschließlich unserer Flotte zu verdanken, der 
hingebenden und aufopfernden Thätigkeit derselben während jener Auf- 
stände, daß wir einerseits unsere Neutralität wahren, aber trotzdem jedem 
Eingriff in deutsche Rechte entschiedenen Widerstand entgegensetzen konnten, 
daß es uns möglich war, die feste und maßvolle Politik während jener 
Bürgerkriege durchzuführen, die uns das Vertrauen jener Länder erworben 
hat, ein Vertrauen, das nach dem Urteil aller Sachkenner nach aller Voraus- 
sicht, uns reichen Segen bringen wird. Wir bedürfen einer Vermehrung 
unserer Kreuzer, nicht aus chauvinistischen Gründen, nicht weil wir uns in 
die inneren Angelegenheiten ferner Länder mischen wollen, nicht einer aben- 
teuernden Politik zu Liebe; wir bedürfen Vermehrung, weil es unsere 
Pflicht ist, überall da, wo in fernen Ländern die deutsche Arbeit sich nieder- 
läßt, von Zeit zu Zeit die deutsche Flagge zu zeigen, als eine Warnung 
für die Fremden, für die Unfrigen als ein Schutz und zugleich für alle 
dort lebenden Deutschen als ein Symbol, das sie ermahnt zur Einheit und 
zum treuen Festhalten an ihrer alten Heimat. (Lebhaftes Bravo!) 
Es folgt die Interpellation der Abgg. Frhrn. v. Heyl zu Herrns- 
heim (nul.) u. Gen.: „Die Unterzeichneten richten an die verbündeten Re- 
gierungen die Frage, welche Maßnahmen auf Grund der am 24. November 
1891 von dem Staatssekretär Dr. v. Bötticher abgegebenen Erklärung über 
die reichsgesetzliche Einrichtung von Handwerker= oder Gewerbekammern in 
Aussicht genommen sind.“ Minister v. Bötticher erkennt die Bedeutung 
einer Organisation des Handwerks durchaus an, kann aber dem Reichstage 
noch keinen Gesetzentwurf vorlegen. Er weist darauf hin, daß nur der 
zehnte Teil der Handwerker den korporierten Innungen angehöre, daher 
könne man auf den Wunsch, Einführung obligatorischer Innungen und des 
Befähigungsnachweises nicht ohne weiteres eingehen. Am folgenden Tage 
spricht sich Abg. Richter (frs. Vp.) gegen die Handwerkerkammern und 
alle staatliche Organisation des Handwerks aus; man müsse ihm überlassen, 
sich selbständig zu vereinigen. Preuß. Handelsminister v. Berlepsch er- 
klärt dem gegenüber eine Gesundung der Verhältnisse ohne eine alle Hand- 
werke umfassende Organisation für unmöglich. Abg. Bock (Soz.) hat nichts 
gegen die Handwerkerkammern, fordert aber auch die Einrichtung von 
Arbeiterkammern, was Minister v. Bötticher ablehnt. (15. Jan.). 
15. Januar. Verurteilung der unbotmäßigen Oberfeuer- 
werkerschüler (vgl. Jahrg. 1894 S. 161). 
Der „Reichs-Anz.“ schreibt: Das kriegsgerichtliche Urteil über die 
in Untersuchungshaft genommenen preußischen Ober-Feuerwerkerschüler ist 
gesprochen und seitens des zuständigen Gerichtsherrn bestätigt. Sämtliche 
Inhaftierte sind bestraft worden. Die große Mehrzahl — 131 erhielt 
wegen Ungehorsams je sechs Wochen und einen Tag Gefängnis, welche 
Strafe durch die erlittene Untersuchungshaft für verbüßt erachtet wurde. 
31 andere wurden wegen Ungehorsams, Achtungsverletzung, gemeinsamer 
Achtungsverletzung und Drohung, je nach der Schwere der den einzelnen 
zur Last fallenden Vergehen, mit Gefängnis von sechs Wochen und zwei 
Tagen bis zu neun Monaten unter entsprechender Anrechnung der erlittenen 
Untersuchungshaft bestraft. Gleichzeitig wurden von dieser Kategorie 10 
degradiert. Endlich ist ein Unteroffizier wegen Aufwiegelung und gemein- 
samer Achtungsverletzung mit fünf Jahren und einem Tag Gefängnis (wo-
	        
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