Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 16.) 21
dauern ist die Lage der Landwirtschaft fortdauernd ungünstig. Den hieraus
erwachsenen schweren Uebelständen nach Möglichkeit zu begegnen, ist Meine
unablässige landesväterliche Sorge und die dringendste Aufgabe Meiner
Regierung. Zum Zweck der Erhaltung der neu geschaffenen Renten= und
Anfiedlungsgüter wird Ihnen voraussichtlich noch in dieser Tagung der
Entwurf eines Gesetzes betreffend das Anerbenrecht bei Renten= und An-
siedlungsgütern zugehen. Geehrte Herren! Es gilt heute mehr als je, zu
einträchtiger Arbeit die Wohlfahrt des Ganzen zu fördern, und es ist die
ernste Pflicht aller Wohlgesinnten, gegenüber den wachsenden Angriffen auf
die Staatsordnung sich einmütig zur Abwehr zusammenzuschließen. Ich
vertraue auf die bereitwillige Unterstützung und die patriotische Hingebung
der preußischen Landesvertretung und bitte Gott, daß er die bevorstehende
Tagung dem Lande zu reichem Segen gedeihen lasse.
Die Thronrede findet in der Presse geteilte Aufnahme; die „Kreuz-
Ztg."“ und „Deutsche Tageszeitung“ begrüßen die angekündigten Mah
regeln zu gunsten der Landwirtschaft mit Genugthuung, die „Nat.-Ztg.“
sieht ihnen skeptischer entgegen; das „Berl. Tagebl.“ vermißt eine Er-
klärung über die Ministerwechsel und der „Vorwärts“" glaubt, daß sich
hinter der Mahnung zum festen Zusammenschluße aller Wohlgesinnten sich
„das spezifisch-preußische Umsturzgesetz verbirgt und die Russifizierung des
borussischen Vereins= und Versammlungsgesetzes!“
16. Januar. (Preuß. Abgeordnetenhaus.) Präsidenten-
wahl, Etat. Rede Hohenlohes.
Nachdem das frühere Präsidium (v. Köller DK., v. Heeremann Z.,
Dr. Graf nl.) wiedergewählt ist, ergreift das Wort Ministerpräfident
Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe: Meine Herren, seit der letzten Ver-
einigung in diesen Räumen sind wesentliche Veränderungen in der Zu-
sammensetzung des Staatsministeriums erfolgt. Es ist das Ministerium des
Innern, das Ministerium der Justiz, das Ministerium für Landwirtschaft
neu besetzt worden, und Se. Majestät haben geruht, mir das Präsidium
des Staatsministeriums zu übertragen. Ich komme deshalb heute, um
mich Ihnen vorzustellen und die Beziehungen anzuknüpfen, die uns von
nun an verbinden werden. Ich rechne auf Ihr freundliches Entgegenkommen,
und ich habe um so mehr Grund, darauf zu rechnen und darum zu bitten,
als ich seit einer langen Reihe von Jahren aus dienstlichen Gründen aus
der preußischen Heimat abwesend war und also zwar nicht den materiellen
Verhältnissen fremd geworden bin, — denn ich bin preußischer Grund-
besitzer — aber doch den Verhältnissen der Verwaltung und der Gesetz-
gebung. Wenn ich trotzdem das Amt, das mir Se. Mojestät übertragen
hat, angenommen habe, so leitete mich dabei der Gedanke, daß es Ehren-
pflicht sei, dem Rufe Sr. Majestät Folge zu leisten. Außerdem aber schöpfe
ich Mut aus dem Bewußtsein, daß ich mich eins fühle mit Ihnen in der
Treue zum Könige und in der Liebe zum Vaterlande! (Lebhaftes Bravo.)
Hierauf legt Finanzminister Miquel den Etat vor. Für das Jahr
vom 1. April 1895/96 sind die ordentlichen Einnahmen des Staates auf
1865 173 497 M, die Ansgaben im Ordinarium auf 1 837 214 103 M, im
Extraordinarium auf 62 259 394 M, zusammen auf 1 899 473 497 M, mit-
hin die Ausgaben um 34 300 000 M höher als die ordentlichen Einnahmen
veranschlagt. Der Fehlbetrag muß durch Aufnahme einer Anleihe gedeckt
werden, deren Betrag behufs Balanzierung des Staatshaushalts-Etats in
den Etat der allgemeinen Finanzverwaltung als außerordentliche Einnahme
eingestellt ist.
Gegenüber den Veranschlagungen für das laufende Jahr vermindern