Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Elfter Jahrgang. 1895. (36)

Kußland. (Oktober 28.—November.) 289 
der „Times" die erste Andeutung, welche die Botschaft in der Angelegen- 
heit erfuhr. 
28. Oktober. (Petersburg.) Durnowo, der Minister des 
Innern wird durch Geheimrat Goremykin ersetzt. 
Ende Oktober. Anfang November. Rußland und England. 
Preßfehde über die orientalische Politik. 
Das Wolffsche Telegraphenbureau in Berlin gibt folgende Depesche 
ans: „Petersburg, 29. Oktober. Eine Auslassung des „Regierungsboten“ 
in der allgemeinen politischen Uebersicht des nichtamtlichen Teiles nennt die 
Anschauungen derjenigen ausländischen Preßorgane vernünftig, welche finden, 
daß Europa die Lösung der armenischen Frage eigentlich nicht England, 
sondern dem mit der englischen Regierung gemeinsamen Einwirken Frank- 
reichs und Rußlands auf die Pforte verdanke. Das Blatt schreibt: „Für 
Frankreich und Rußland gipfelte die Frage vornehmlich in der Sicherung 
der Rechte und Interessen der christlichen Unterthanen des Sultans ange- 
sichts des systematischen Ausweichens der türkischen Regierung, die ihr durch 
den Berliner Vertrag auferlegten Verpflichtungen zu erfüllen. In der Basis 
des Uebereinkommens der drei Mächte, durch welches die Pforte gezwungen 
wurde, die ihr gestellten Forderungen zu beachten, fehlt dieses Mal das 
Vertrauen in die Aufrichtigkeit der britischen Intervention; denn nach der 
Meinung politischer Kreise gibt es keine mit dem Orient durch wesentliche 
Interessen verknüpfte Macht, welche sich nicht empörte über die Manieren 
einer zweideutigen Politik der britischen Diplomatie, welche beinahe die 
Frage einer Teilung der Türkei berührte. Niemals äußerte sich in Europa 
das Gefühl des Mißtrauens gegen die Richtung der englischen Politik und 
ihrer Ziele in so handgreiflicher Gestalt wie gegenwärtig. Und dies bildet 
bei weitem keinen Fortschritt, dessen sich die Toryregierung und mit ihr die 
englische Presse rühmen könnte."“ 
Am 1. November veröffentlicht das Wolffsche Bureau folgende De- 
pesche: „Petersburg, 1. November. Die „Russische Telegraphen-Agentur“ 
meldet: Es hat kein Artikel im „Regierungsboten“ über die Beziehungen 
Rußlands zu England gestanden. Die telegraphisch mitgeteilten Aeußerungen 
in der Nummer des „Regierungsboten“ vom 29. Oktober sind Auszüge aus 
der Rubrik „Nachrichten aus dem Auslande“ dieser Zeitung; sie find nur 
eine Beurteilung der in der ausländischen Presse erschienenen Artikel. Die 
gegenwärtige Lage der Dinge wird hier als eine solche betrachtet, die voll- 
ständig friedlich sei und in keiner Weise Beunruhigungen einflößen könne. 
Notiz. Wir bemerken, daß wir das Telegramm vom 29. d. aus 
dem „Regierungsboten“ so veröffentlicht haben, wie es uns von der „Russi- 
schen Telegraphen-Agentur" zugegangen ist.“ 
Die englische Presse antwortete zunächst auf das erste Telegramm 
nicht, nach der russischen Ableugnung vom 1. November führt sie heftige 
Angriffe gegen Rußland. Der Salisbury nahestehende „Observer" legt 
dem Dementi keinerlei Bedeutung bei, da die von den Zensoren kontrollierte 
russische Presse schon seit Wochen so spreche, wie dies der „Regierungsbote" 
gethan. England müsse auf einen Krieg mit Rußland gefaßt sein. 
15. November. (Petersburg.) Die Kaiserin wird von einer 
Prinzessin entbunden. 
November. (Petersburg.) Die „Nowoje Wremja“ über 
Rußland, England und die Pforte. 
Europ. Geschichtskalender. Bd. XXXVI. 19
	        
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