Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Elfter Jahrgang. 1895. (36)

Vorstel- 
lungen 
aller 
Groß- 
mächte. 
320 Nebersicht der politisczen Entwickelung des Jabres 1895. 
in Trapezunt, Erzerum, Siwas in Stadt und Land zu wiederholten 
Metzeleien, 100 000 Armenier sollen erschlagen, viele im Gebirge 
und in den Wäldern dem Tode durch Frost und Hunger preis- 
gegeben worden sein. Die türkischen Behörden waren entweder 
ohnmächtig oder nicht willens, diesen Greueln zu steuern. In Zeitun 
hatten die Armenier die Oberhand: sie nahmen die türkische Gar- 
nison gefangen und töteten sie, als eine türkische Armee herannahte. 
Mögen nun auch die Berichte von den Greuelthaten und die Zahlen 
der Umgekommenen weit übertrieben sein, sie wurden doch der Aus- 
gangspunkt erneuter Vorstellungen der Mächte an die Pforte. Und 
zwar schloß sich jenen drei Mächten jetzt der mitteleuropäische Drei- 
bund an: auf Grund des Berliner Vertrages forderte er amtliche 
Mitteilung der geplanten Reformen in Armenien (9. Nov.). Die 
Großmächte einigten sich auf ÖOsterreichs Vorschlag nur gemeinsam 
vorzugehen und gaben ihren Forderungen durch Ansammlung von 
Geschwadern in den türkischen Gewäffern Nachdruck. Trotzdem setzte 
die Pforte allen Vorschlägen zähen Widerstand entgegen; dem Be- 
gehren der Mächte auf Grund des Pariser Vertrages von 1856 die 
Durchfahrt eines zweiten Stationsschiffes nach Konstantinopel zu 
gestatten, suchte sie wochenlang auszuweichen; erst als jede Hoffnung 
auf einen Zwist in den Reihen ihrer Gegner schwand, fügte sie 
sich (S. 293). Bei Schluß des Jahres war die Ruhe in Armenien 
durch die Versammlung großer Streitkräfte notdürftig wiederher- 
gestellt, das eigentliche Problem jedoch, die Herstellung solcher Be- 
ziehungen zwischen den verschiedenen Nationen und Bekenntnissen, 
die ein friedliches Nebeneinanderleben in einem gemeinsamen Staats- 
wesen verbürgen, noch bei weitem nicht gelbst. 
Die schärfste Sprache gegen die Pforte hatte von allen Mächten 
Rußlandstets England geführt, ja Lord Salisbury hatte öffentlich den Ge- 
-zand danken einer Vernichtung der Türkei erörtert und auf einen demü- 
land. tigen Brief des Sultans seine Worte sachlich nicht gemildert (S. 243). 
Rußland dagegen zeigte sich weit maßvoller und wies insbesondere 
die Idee einer Teilung der Türkei zurück. Die russische Presse war 
voller Mißtrauen gegen England, sie argwöhnte sogar, daß die 
britische Regierung eine Aktion gegen die Pforte nur deshalb so
	        
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