Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Elfter Jahrgang. 1895. (36)

Mebersicht der politischen Eutwickelung des Jahrer 1895. 327 
Von der auswärtigen Politik ist bereits oben die Rede ge- Kolo- 
wesen, und von der Kolonialpolitik ist wenig mitzuteilen. Die pa 
Ruhe ist nirgends gestört worden und das Vertrauen auf die wirt- 
schaftliche Entwicklung der Kolonien ist durch Goldfunde in ÖOst- 
afrika belebt worden. Die bedeutendsten Ereignisse sind eine Togo- 
expedition, welche durch den Abschluß von Verträgen mit den Ein- 
geborenen die endgültige Grenzregulierung im Nigergebiete mit 
England und Frankreich vorbereitete, und die Gründung einer 
Gesellschaft für Südwestafrika (Dez. 1895). 
Zum Schluß wollen wir noch auf die Nationalfeste verweisen, Natte- 
die Deutschland in diesem Jahre feiern durfte: Bismarcks 80. me alfeste. 
burtstag, die Eröffnung des Nordostseekanals und die Erinnerung 
an die Siege von 1870. Die Feier von Bismarcks Geburtstag 
wurde zwar durch die Weigerung des Reichstags, den Begründer des 
Deutschen Reichs zu beglückwünschen getrübt, doch verlöschten die 
Wallfahrten aus allen Teilen Deutschlands nach Friedrichsruh 
diesen Eindruck bald wieder. Die Kanaleröffnung, an der sämt- 
liche seefahrende Nationen teilnahmen, gestaltete sich zu einer großen 
Friedenskundgebung, ein Gedanke, der auch in den Siegesfeiern 
wiederholt zum Ausdruck kam. 
Im Habsburgischen Doppelreiche fällt zuerst der Wechsel im 9m 
Ministerium des Auswärtigen ins Auge. Graf Kalnoky fiel, weil uarnsen 
seine Person den Ungarn verhaßt war, wiewohl seine Politik von Sturz 
allen Parteien, ausgenommen die Jungtschechen, gutgeheißen wurde. * 
Als im April d. J. der päpstliche Nuntius Agliardi eine Rund- 
reise durch Ungarn unternahm und dabei den Klerus zum Wider- 
stand gegen die konfessionellen Gesetze ermunterte, forderte der unga- 
rische Ministerpräsident Baron Banffy den Minister des Auswärtigen 
auf, bei der Kurie Vorstellungen gegen dieses Treiben des Nuntius 
zu erheben. Kalnoky erklärte sich vertraulich geneigt Banffys Be- 
gehren zu willfahren, und auf Grund dieser Zusage erklärte der 
ungarische Minister im Parlament, der Minister des Auswärtigen 
habe auf seine Vorstellung Schritte bei der Kurie zur Abberufung 
des Nuntius gethan (S. 214). Kalnoky erblickte hierin einen Ver- 
trauensbruch oder die Absicht, den gemeinsamen Minister des Außeren 
als unter ungarischem Einflusse stehend hinzustellen und wies Banffys
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.