Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Elfter Jahrgang. 1895. (36)

332 Vebersicht der politischen Eutwichelung des Jahres 1895. 
Aktionen sind bei der kurzen Dauer dieser Session noch nicht zu 
verzeichnen; die Regierung nahm zunächst einige administrative 
Reformen in Angriff, vor allem im Heerwesen, wo das Kriegs- 
ministerium eine neue Organisation erhielt (S. 243). 
Für die Neuwahlen ist außer der Niederlage der Liberalen 
brbei- das Fiasko der Sozialisten charakteristisch. Infolge des Überhand- 
wegung. nehmens kommunistischer Tendenzen im Vorjahre (vgl. 1894 S. 343) 
waren sie mit großen Hoffnungen in den Wahlkampf eingetreten, 
aber die Enttäuschung war grausam, von den Arbeiterkandidaten, 
die sich den radikalen Parteien anschlossen, wurden nur zwei ge- 
wählt; die unabhängigen Sozialisten gar konnten trotz aller Mühe 
nicht ganz 45.000 Stimmen auf sich vereinigen und ein Mandat 
erhielten sie überhaupt nicht. Nicht glücklicher waren sie auf 
dem Kongreß der Gewerkvereine (S. 244); dessen Beschlüsse, wie 
Abschaffung des Oberhauses, Einführung des Achtstundentages, 
Verstaatlichung des Grund und Bodens, der Eisenbahnen, der Berg- 
werke, lauten zwar noch radikal genug, bedeuten aber immerhin im 
Gegensatze zum letzten Kongresse eine Abwendung vom Kommunis- 
mus. (Vgl. Stein, Nation 1895, 50.) 
Über die auswärtige Politik Englands in Ostasien, Armenien 
und Südafrika ist bereits oben berichtet worden, aber außer diesen 
hatte England noch eine ganze Reihe von Verwicklungen mit dem 
Auslande zu überstehen. Da ist zunächst der Konflikt mit Vene- 
Streit zuela. „England“, so schreibt die „Köln. Ztg.“, beansprucht seit 
gait Anfang dieses Jahrhunderts für seine guyanische Kolonie ein Ge- 
zuela, biet das zwischen dieser und Venezuela liegt, und stützt sich dabei 
auf ziemlich bestimmte Rechtsansprüche, die es von den frühern 
Besitzern, den Niederländern, ererbt hat, die ihren Machtbereich 
abgegrenzt, während die Spanier, die Vorgänger Venezuelas, dies 
unterlassen hatten. Von je her war England bereit, seine Ansprüche 
über eine von Sir Richard Schomburgk im Jahre 1840 abgesteckte 
Grenzlinie einer schiedsgerichtlichen Entscheidung zu unterwerfen, 
nicht aber auch das östlich von dieser Linie gelegene Gebiet. 
Venezuela war den häufigen Vorschlägen Englands, eine Grenz- 
regelung herbeizuführen, ausgewichen. Da überfielen im Januar 
vorigen Jahres (1895) venezuelische Mannschaften einige Posten, welche
	        
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