Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 22.—23.) 27
entstehen die Gerüchte von Ministerwechseln. Nun glauben Sie nicht, meine
Herren, daß ich von Vermutungen spreche; mir stehen auf diesem Gebiete
reiche eigene Erfahrungen zu Gebote. Ich spreche nicht von meiner Thätig-
keit als bayerischer Minister. Damals waren die Zeiten zu ernst für In-
triguen, und ich bin durch ein mich ehrendes glänzendes Mißtrauensvotum
beider Kammern beseitigt worden. (Heiterkeit.) Anders war es schon in
Paris. Der Pariser Botschafterposten ist ein sehr gesuchter; ich wurde viel
beneidet und hatte zahlreiche Konkurrenten. Diese hatten nun wieder
Freunde, und diese Freunde verbreiteten dann in der Presse, in deutschen
und französischen Blättern, daß der Fürst Hohenlohe alt und müde sei und
demnächst seine Entlassung geben werde. Ich muß bemerken, daß das vor
20 Jahren war. (Heiterkeit.) Aehnlich ist es in Straßburg gewesen; in den
neun Jahren, die ich in Straßburg thätig war, sind keine sechs Monate
vergangen, ohne daß in irgend einem Blatte — meistens in Berliner Zei-
tungen — die Nachricht auftauchte: der Statthalter sei alt und müde und
würde durch den General X oder den Oberpräfidenten Y ersetzt werden.
(Heiterkeit.) Diese Erfahrungen haben zur Folge, daß mich alle Krisen-
gerüchte sehr kühl lassen, und ich möchte Ihnen und Allen nur wünschen,
daß Sie meinem Beispiele folgten und die Sensationsnachrichten von Krisen
an sich ablaufen ließen, wie Regentropfen am Regenmantel. (Heiterkeit.)
Nun hat diese Sache aber auch eine ernste Seite, und zwar eine bedauer-
liche Seite. Der gewöhnliche Zeitungsleser besitzt nicht den Gleichmut und
die Gemütsruhe, die mir eigen sind in der Beurteilung solcher Krisen-
gerüchte, sondern er glaubt sie, nimmt solche Nachrichten als ernst und
folgert daraus Unsicherheit unserer Zustände, und so entsteht Unzufrieden-=
heit, Unruhe und Pessimismus. Lassen Sie mich schließen mit dem Wunsche,
daß diese Gerüchte endlich ihr Ende finden und verstummen möchten und
daß es uns vergönnt sei, mit Ruhe unserer Arbeit ohne Störung ungestört
nachgehen zu können zum Wohle des Vaterlandes! (Lebhafter Beifall.)
Abg. Rickert (freis. Vg.) fordert Konvertierung der 4prozentigen
Konsols und tadelt die agrarischen Tendenzen der Rechten, die von der
Regierung nicht scharf genug zurückgewiesen würden. Finanzminister
Miquel: Zu der Frage der Konversion habe die Regiernung noch keine
Stellung genommen. ·
22. Januar. (Reichstag.) Gesetzentwurf zur Abänderung
des Zolltarifes.
Es sollen erhöht werden die Zölle für Aether, ätherische Oele, Fir-
nisse, Bernsteinwaren, Schmuckwaren, Honig, Kakaobutter, Speiseöle.
g. v. Stumm (D. R.) plädiert für eine Beratung der Vorlage in
einer Kommission und fordert eine Erhöhung des Zolles auf Quebracho-
holz und ausländische Gerbstoffe. Abg. Buddeberg (freis. Vg.) polemisiert
gegen die Höhe der Zollsätze und gegen den Zoll auf die Gerbstoffe, der
die Lederindustrie schädige. Für diesen Zoll treten noch ein die Abgg.
Gr. Kanitz (kons.), Brökmann (Z.) und Möller (nl.), Harm (Soz.) und
Kröber (südd. Bp.) sprechen dagegen. Am 24. Januar wird der Gesetzent-
wurf an eine Kommission von 21 Mitgliedern verwiesen.
23. Januar. (Reichstag.) Sezialpolitische Anträge.
Der Antrag Kropatschek (kons.) auf Einführung des Befähigungs-
nachweises wird durch die Stimmen der Konservativen, des Zentrums,
der Minderheit der Reichspartei und Nationalliberalen angenommen, ebenso
der Antrag Gamp (NP.) auf Organisation des Handwerks in Handwerker-
kammern und Beschränkung der Gefängnisarbeit.