50 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 21.)
des Abzuges der Schuldzinsen, ferner weitere Entwürfe betreffend die Um-
gestaltung der Grund-, Gebäude= und Gewerbesteuern, sowie der Kapital=
steuer, sodaß diese Steuern fortan ausschließlich fundierte Einkommen treffen.
Der 1894 unternommene Versuch einer Abänderung der Verfassung ist er-
folglos geblieben, ein weiteres Vorgehen der Regierung ist bedingt durch
die Abänderung der Anschauungen darüber, was als erreichbares Ziel ins
Auge gefaßt werden kann. Ein Gesetzentwurf wegen Wiedereinführung des
Wahlkouverts bei den Landtagswahlen ist vorbereitet. Auf dem Gebiete
der Gemeindeverwaltung ist eine Vorlage beabsichtigt, durch welche für die
größeren Städte eine periodische Wahl der Ortsvorsteher unter Uebertragung
des Wahlrechts auf bürgerliche Kollegien eingeführt werden soll. In
kleineren Gemeinden erscheint die Aufhebung der Lebenslänglichkeit des
Ortsvorsteheramts erst möglich, wenn anläßlich der Einführung des Bürger-
lichen Gesetzbuchs die Entlastung der Ortsvorsteher von den bisherigen Ge-
schäften bewirkt wird. Durch die ins Budget eingestellte Summe zur För-
derung der Hagelversicherung soll den Landwirten Erleichterung bei Ver-
sicherung ihrer Feldfrüchte verschafft und auf die Verallgemeinerung der
Hagelversicherung hingewirkt werden. Weitere Forderungen sind auf die
Weiterentwicklung des Feldbereinigungswesens und die Hebung der Vieh-
zucht, insbesondere der Pferdezucht gerichtet. Durch die ferner vorgesehene
Gewährung erheblicher staatlicher Zuschüsse zu den Kosten der militärischen
Einquartierungen wird der Landwirtschaft treibenden Bevölkerung eine fühl-
bare Erleichterung erwachsen. Der Entwurf eines Gesetes über die Be-
nutzung der öffentlichen Gewässer wird unterbreitet werden. Alle Maß-
nahmen der Gesetzgebung und Verwaltung versprechen nachhaltigen Erfolg
nur, wenn sie unterstützt werden von der eigenen Arbeit und dem ernsten
Fleiße der beteiligten Kreise.
Nach dem vom „Staats-Anz.“ publizierten Etat beträgt der Aus-
gabenvoranschlag pro 1895/96 72 857 385 M pro 1896/97 73577201 M
Die Einnahmen find veranschlagt pro 1895/96 auf 70057 385 M pro
1896/97 70 554 450 M , so daß sich ein Fehlbetrag pro 1895/96 von
2800 000 und pro 1896/97 von 3023751 M ergibt, welcher unter dem
ausdrücklichen Vorbehalt einer späteren Deckung aus Steuermitteln vor-
läufig durch Anleihe gedeckt werden soll.
21. Februar. (Reichstag.) Erste Beratung der Tabaksteuer-
vorlage (vgl. 1894 S. 4).
Staatssekretär des Reichsschatzamtes Graf Posadowsky: Von der
letzten Vorlage unterscheide sich die jetzige in mehrfacher Beziehung. So
dadurch, daß die Steuer diesmal nicht auf Zigarrenimporte ausgedehnt ist,
letztere vielmehr einem höheren Zolle unterworfen werden. Vor allem aber
dadurch, daß diesmal ein um 13 Millionen Mark niedrigerer Betrag in
Rechnung gestellt wird. Ein Bedürfnis für Erhöhung der Reichseinnahmen
bestehe jedenfalls, so in Höhe von 20 Millionen allein schon wegen der
Mindereinstellungen von Ueberschüssen aus früheren Jahren und wegen
voraussichtlicher Wiedersteigerung der Getreidepreise und demgemäß der
Naturalienkosten. Auch blieben von der letzten Militärvorlage noch 8½
Millionen zu decken und außerdem wüchsen ja die Reichsausgaben jährlich
um 4 Prozent. Für 1896/97 sei sonach der Mehrbedarf auf etwa 32 Mil-
lionen zu schätzen. Ein künstliches Defizit, wie man es behauptet habe, sei
nicht geschaffen worden, umsoweniger, als wegen Verlassens des alten Ver-
anschlagungsverfahrens bei den Einnahmen künftig auf Ueberschüsse nicht
mehr in dem Maße wie früher zu rechnen ist. Für den Reichstag liegt
jedenfalls die moralische Verpflichtung vor, für die Deckung zu sorgen, nach-