Das Veische Reich und seine einzelnen Glieder. (März 18./20.) 65
eignetes Mittel zur Beschaffung des Ersatzes und hat nur gleichfalls Wünsche
bezüglich der Vereinfachung des Verfahrens. Es würde aber eventuell auch
die einfache Listenwahl annehmen. 3. Die Deutsche Partei (13 Mitglieder)
hält einen Ersatz der Privilegierten, abgesehen von der Wahl einiger wei-
teren Abgeordneten durch die Stadt Stuttgart und andere größere Städte,
nicht für erforderlich, sie behält sich ihre endgiltige Entscheidung aber vor,
bis es möglich sein wird, sich ein Urteil über die Verfassungsrevision als
Ganzes zu bilden. Die Ritterbank (13 Mitglieder) und die Prälaten-
bank (6 Mitglieder) verhalten sich ablehnend gegenüber der Proportional=
wahl. Die aus 3 Köpfen bestehende „Landespartei“ (zu ihr gehört der
Herr Ministerpräsident selber als Abgeordneter von Mergentheim) konnte
sich unter sich nicht einigen. Unberücksichtigt sind hier die je aus einem
Mitglied bestehende konservative und sozialdemokratische Fraktion.
18./20. März. (Reichstag.) Zweite Lesung des Marine-
etats. Rede Hohenlohes, Marschalls, Hollmanns. Annahme der
von der Kommission beantragten Abstriche (S. 58).
Nach einem Bericht des Abg. Dr. Lieber (3.) über die
Kommissionsberatungen ergreift das Wort Reichskanzler Fürst zu
Hohenlohe:
Meine Herren! Die Anforderungen, welche seitens der verbündeten
Regierungen in dem ihnen vorgelegten Etatsentwurf für die Verstärkung
unserer Kriegsflotte gestellt worden sind, haben intra muros et extra zu
lebhaften Erörterungen Veranlassung gegeben. Diesem Widerstreit der
Meinungen gegenüber halte ich es für notwendig, hier noch einmal die
allgemeinen Gesichtspunkte festzustellen, aus welchen jene Anforderungen für
die Marine erhoben worden sind. Die Erläuterung und Begründung im
einzelnen überlasse ich den Vertretern der beteiligten Ressorts. Die Not-
wendigkeit einer deutschen Kriegsflotte darf ich glücklicherweise heute als
ein Axiom hinstellen, indem ich hierin der Zustimmung der übergroßen
Mehrheit dieses hohen Hauses vollkommen sicher bin. Ich bezweifle, daß
es noch ernsthafte Politiker geben sollte, welche die Zeit zurückwünschten,
in der Deutschland im heutigen Sinne mit Ausnahme der kleinen preußi-
schen Marine keine Kriegsflotte besaß und allerdings auch keine Kriegsschiffe
zu bezahlen brauchte. Die deutsche Flotte ist das Ergebnis der politischen
Entwicklung Deutschlands. Das neue Reich, geschaffen durch die Siege
einer unvergleichlichen Armee und durch eine geniale Politik, rückte, ver-
möge des in der Welt errungenen Ansehens, vermöge des Schwergewichts
der ihm innewohnenden Macht gewissermaßen von selbst und ohne eigenes
weiteres Zuthun den anderen Großmächten gegenüber in eine Stellung
ein, die — einmal erworben „ ohne Gefährdung der vitalen Interessen der
Nation nicht wieder aufgegeben werden kann. Daraus ergab sich die Pflicht,
eine deutsche Flotte zu schaffen, und zwar eine des großen deutschen Reiches
würdige Flotte. Der Satz noblesse oblige, den ich mit den Worten über-
setze: „Würde verpflichtet", gilt auch für die Nationen, und das in diesem
Satze zum Ausdruck gelangte Prinzip verlangt nicht nur von den In-
dividuen, sondern auch von den Nationen, die ihm nachleben wollen, die
Bereitwilligkeit zu Opfern. Indes, meine Herren, im Leben der Nationen
sind ideelle und materielle Interessen meist untrennbar verbunden. Die Ent-
faltung von Macht und Ansehen ist eine Vorbedingung, um für die wirt-
schaftliche Entwicklung eines Volkes eine sichere und ungestörte Basis zu
schaffen. Wesentlich auch von diesem Gesichtspunkte aus müssen die An-
Europäischer Geschichtskalender. Bd. XXXVIII.