Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfzehnter Jahrgang. 1899. (40)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (August 16./17.) 125 
Abg. Graf Limburg-Stirum (kons.): Die Interessen der Land- 
wirtschaft spielen bei dieser Vorlage gar keine Rolle. Man sagt, der Kanal 
würde die Landwirtschaft fördern. Die berufenen Vertreter der Landwirt- 
schaft bestreiten dies entschieden. Es ist unrichtig, daß wir aus Feindschaft 
gegen die Industrie gegen den Kanal sind. Der Kanal wird zwar der 
Landwirtschaft keinen Vorteil bringen, aber deshalb sind wir nicht gegen 
den Kanal. Der Konflickt der Industrien in den verschiedenen Bezirken 
bringt uns dahin, gegen den Kanal zu sein. Die technische Frage ist 
keineswegs so klar, wie man es darstellt. Ich erinnere nur an die Erfah- 
rungen mit dem Oder-Spreekanal. Und was haben wir erst zu erwarten 
bei dem so viel größeren Mittellandkanal! Die Vertreter der Regierung 
haben den Kanal in der Kommission sehr geschickt verteidigt, aber über- 
zeugt haben sie uns nicht. Die Militärverwaltung benutzt ja natürlich 
jedes Verkehrsmittel, daß sie aber gerade den Kanal bevorzugt, glaube ich 
nicht. Dies bestätigt auch General von Blume in seiner Schrift über die 
Grundlagen der Wehrkraft. In wirtschaftlicher Beziehung habe ich mich 
nicht überzeugen können, daß eine wesentliche Entlastung der Eisenbahnen 
durch den Kanal in dem erhofften Maße eintreten wird. Bis dahin wird 
uns der Bau von Eisenbahnen nicht erspart bleiben. Eine einseitige Ver- 
schiebung des Verkehrs ist noch keine Vermehrung des Verkehrs. Die Ver- 
kehrspolitik muß eine gleichmäßige sein, wenn sie den allgemeinen Wohlstand 
fördern soll. Dieser Kanal soll nur einen Teil des Landes bereichern und 
darum ist nur ein Teil der Interessenten dafür. Der Kanal kommt vor- 
wiegend Holland und Belgien zu Gute. Es ist eine große Gefahr, daß 
wir die Herrschaft über unsere Tarifpolitik aus den Händen geben. 
Oberst Budde: Die Militärverwaltung legt hohen Wert auf das 
Zustandekommen der Vorlage. Ich muß mir dabei große Zurückhaltung 
auferlegen, denn wir können unsere Transportdispositionen für den nächsten 
Krieg nicht preisgeben. Die Landesverteidigung hat ein großes Interesse 
an dem Kanal, und in der Kommission haben wir gezeigt, daß unsere 
Gründe dazu nicht als Vorspann für diese Vorlage von gestern auf heute 
erfunden sind, sondern haben eingehendes Material als das Ergebnis eines 
Studiums vieler Jahre der Kommission mitgeteilt, das in einem geheimen 
Buche von 1896 niedergelegt ist. Das Buch enthält sowohl allen Nutzen 
wie alle Schwächen der Wasserstraßen. Wir haben nicht übertrieben, aber 
die Wasserstraßen sind eines der vielen bedeutenden Hilfsmittel im Kriege, 
um die Massengüter nach dem Kriegsschauplatz zu führen. Das notwendige 
Kriegsmaterial hat sich seit unserem letzten Kriege bedeutend mehr gesteigert 
als die Zahl der Eisenbahnen. Darum müssen die Eisenbahnen durch die 
Wasserstraßen entlastet werden. Die Wasserstraßen sollen die Eisenbahnen 
zwar nicht ersetzen, aber ergänzen. Daher ist der Vergleich, ob die Eisen- 
bahnen oder Wasserstraßen wertvoller sind, hinfällig. Gewiß sind die 
Eisenbahnen wertvoller als die Wasserstraßen. (Hört, hört! rechts.) Aber 
die Wasserstraßen sind eine notwendige Ergänzung der Eisenbahnen. Wir 
müssen nach Osten und Westen Front machen. Im Westen ist unsere 
Operationsbasis der Rhein, im Osten sind es Weichsel und Warthe. Die 
Operationsbasis des Rheins gibt uns die Möglichkeit, die Magazine an 
den Wasserstraßen, wo große Mühlen und Speicher sind, in einer Zeit zu 
füllen, wo die Eisenbahnen von der Mobilmachung und dem Aufmarsch 
der Armee völlig in Anspruch genommen sind. Im letzten Kriege haben 
die Eisenbahnen Glänzendes beim Aufmarsch geleistet. Als aber der Auf- 
marsch beendet war, kam der Transport der Güter. In kurzer Zeit war 
alles überfüllt. Wir haben Vorbereitungen getroffen, daß solche Zustände 
nicht wiederkehren. Die Kriegsschauplätze wechseln von Tag zu Tag. Der
	        
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