142 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Sept. 10./11.—13.)
10./11. September. (Hamburg.) Parteitag der deutsch-
sozialen Reformpartei. Parteiprogramm.
Abg. Liebermann v. Sonnenberg wünscht eine schärfere Haltung
in der Judenfrage und ein freundschaftlicheres Verhältnis zu verwandten
Gruppen, insbesondere zum Bunde der Landwirte und zu den Konservativen,
vielleicht auch zu den Nationalliberalen. Graf Reventlow tadelt, daß
die Partei die Zuchthausvorlage nicht a limine abgewiesen, sondern für
Kommissionsberatung gestimmt habe. Abg. Vielhaben will keinen engeren
Anschluß an die Konservativen und begründet die Haltung der Partei gegen
die Zuchthausvorlage, weil diese zum Schutz der Schwachen bestimmt sei. —
Am folgenden Tage werden nach stürmischer Debatte folgende Beschlüsse
gefaßt:
1. Es ist die Aufgabe der antisemitischen Partei, die Kenntnis vom
wahren Wesen des Judenvolkes zu vertiefen und immer weiter zu verbreiten.
Wir stehen erst am Anfang dieser Thätigkeit.
2. Die zionistischen Bestrebungen sind eine Frucht der antisemitischen
Bewegung. Sie enthalten das Bekenntnis zu der so oft abgeleugneten
nationalen Zusammengehörigkeit aller Juden. Die staatsrechtlichen Be-
strebungen der Zionisten verdienen nur dann Unterstützung, wenn Sicher-
heit geboten würde, daß wirklich alle Juden gen Zion ziehen. Das erscheint
leider ausgeschlossen. Es ist nicht zu dulden, daß die „Alliance israélite“
suverän wird und einen Gesandten am deutschen Kaiserhofe unterhält.
3. Dank der Entwickelung unserer modernen Verkehrsmittel dürfte
die Judenfrage im Laufe des 20. Jahrhunderts zur Weltfrage werden und
als solche von den anderen Völkern gemeinsam und endgültig durch völlige
Absonderung und (wenn die Notwehr es gebietet) schließliche Vernichtung
des Judenvolkes gelöst werden. Der wahre Friedenskongreß wird derjenige
sein, der sich mit der Stellung der erdbewohnenden Menschheit zum Hebräer
beschäftigt. — Bis dahin aber wird es Sache jeder einzelnen Nation sein,
sich der Judenplage zu erwehren, so gut sie es den Umständen nach kann.
4. Einer der ersten Schritte beim legislativen Einschreiten gegen das
Judenvolk muß es sein, festzustellen, wer vor dem Gesetz als Jude gelten
soll, und daß es die Abstammung und diese ganz allein ist, die die Zu-
gehörigkeit zum Judentum bestimmt. Der Parteitag begrüßt den im Sommer
1898 veröffentlichten Entwurf zu einem Judenmatrikelgesetz als willkommene
Vorarbeit zur Lösung dieser grundlegenden Aufgabe.
5. In Punkt 19 des Parteiprogramms werden statistische Erhebungen
über die Juden gefordert. Es ist nötig, daß diese Statistik die in Deutsch-
land befindlichen Juden in all den Lebensäußerungen erfaßt, über die be-
züglich der Gesamtbevölkerung Erhebungen angestellt werden.
6. Der Parteitag empfiehlt der Fraktion, im Reichstage alljährlich
durch geeignete Anträge die Parteien und die einzelnen Abgeordneten zur
Stellungnahme in der Judenfrage zu zwingen.
12. September. (Wolgast i. Pommern.) Der letzte Veteran
der Freiheitskriege, Rentner August Schmidt, 104 Jahre alt, †.
13. September. (Karlsruhe.) Der Kaiser richtet folgendes
Handschreiben an den Großherzog von Baden:
„Durchlauchtigster Fürst! Freundlichst geliebter Vetter, Bruder und
Oheim! Bei dem heutigen Scheiden aus Eurer Königlichen Hoheit Landen
ist es Mir ein aufrichtiges Herzensbedürfnis, Eurer Königlichen Hoheit
durch Uebersendung anliegender Abschriften Meiner Ordres an die komman-