Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfzehnter Jahrgang. 1899. (40)

10    Das Deutsthe Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 12./13.)
 
die Mehrarbeit leisten zu können. Als diese Erkenntnis gewonnen, diese 
Frage bejaht worden war, ergab es sich von selbst, aus den Formationen 
zweiter solche erster Linie zu machen; man ist also, meine ich, ganz logisch 
vorgegangen. Nach der Verschmelzung der vierten Bataillone haben wir 
also die tatsächlich verkürzte Dienstzeit seit dem 1. April 1897. Die Vor- 
teile der verkürzten Dienstzeit werden nicht verkannt und ich will sie ohne 
weiteres hier aufzählen. Vor ihrer Einführung hatten wir zwar den 
3. Jahrgang, aber einen verstümmelten, der sich zum größten Teile aus 
schlecht ausgebildeten und Leuten von schlechter Führung zusammensetzte. 
Das war keine Hilfe für die Truppen, im Gegenteil, es war ein Hemmnis. 
Die Truppen sind daher, mit dem Verschwinden dieser Leute aus der 
Front, in ihrem Aussehen und ihren Leistungen gleichmäßiger. Ferner ist, 
wie erwartet, und das findet man bei der Bearbeitung der Mobilmachungs- 
vorarbeiten bestätigt, die Zusammensetzung der Feldformationen insofern 
günstiger und gleichmäßiger geworden, als sie sich aus jüngeren Jahr- 
gängen zusammensetzt als früher. Besonders segensreich für die Armee ist 
auch der aus Anlaß der Einführung der verkürzten Dienstzeit erfolgte 
Uebergang von der Maximalstärke zur Durchschnittsstärke für die Armee 
gewesen. Die sogenannten Prozentmannschaften werden infolge dessen jetzt 
zugleich mit den Rekruten eingestellt, so daß eine besondere Ausbildung 
von Nachersatz fortfällt und für jeden Abgang im Laufe des Jahres sofort 
ein entsprechend ausgebildeter Mann in die frei gewordene Stelle eingestellt 
werden kann. Nicht weniger bewährt hat sich die Maßnahme, die Rekruten 
so früh einzustellen, daß die bessere Jahreszeit noch gründlich ausgenutzt 
werden kann. Die Truppe ist daher im Frühjahre früher verwendungs- 
fähig. Diesem unleugbaren Vorteile stehen aber auch wesentliche Nachteile 
gegenüber. Zunächst ist, wie ich bereits erwähnt habe, der Stamm an 
ausgebildeten Mannschaften zu gering. Wir können mit der Etatsstärke 
in dieser Weise nicht gut durchkommen. Die Güte einer Truppe hängt 
aber wesentlich von dem Kern ab, an den sich die anderen anlehnen. Es 
ist daher zweifellos, daß, wenn ich zwei ausgebildete Jahrgänge habe, der 
Halt der Truppen ein erheblich besserer sein muß, als wenn nur ein 
Jahrgang Ausgebildeter vorhanden ist. Auch manche Erscheinungen des 
inneren Lebens der Armee sprechen hiefür und machen sich nach dieser 
Richtung Zeichen einer Wandlung bemerkbar. Jetzt stehen sich wie in der 
Schule die Alten und die Neuen gegenüber, es fehlt eben der Ausgleich. 
Früher hielt der Gefreite des dritten Jahrganges schon Ordnung, er hatte 
seine Autorität. Das war eine bewährte Hilfe für den inneren Dienst 
und für die eigene Sicherheit in der Truppe. Auch fehlt das geeignete 
Personal für verantwortliche Kommandos, für schwierige Posten u. s. w., 
das nun aus dem zweiten Jahrgang genommen werden muß. Vor Allem 
wissen wir auch nicht, wie sich im Beurlaubtenstande die kurze Dienstzeit 
geltend machen wird, denn darüber fehlen die Erfahrungen. Jedenfalls 
steht sest, daß das Material für die Unteroffiziere der Reserve= und Land- 
wehrformationen nicht mehr in dem Maße vorhanden ist. Früher bildeten 
wir die tüchtigen Leute des dritten Jahrganges planmäßig zu Unter- 
offizieren der Reserve= und Landwehrformationen aus. Dazu sind wir 
jetzt nicht mehr im stande, und die kurze Dienstzeit erlaubt nicht, in dieser 
Hinsicht Abhilfe zu schaffen. Denn wenn auch die Uebungen in reicher 
Zahl auf dem Papiere stehen, so weiß doch jeder von den Herren, wie es 
damit steht. Die Mittel, die uns gewährt werden, reichen kaum dazu aus, 
um im Durchschnitt jeden Reservisten und jeden Landwehrmann je einmal 
zu einer vierzehntägigen Uebung heranzuziehen. Daß das nicht ausreicht 
zur Erwerbung der Qualifikation eines Vorgesetzten, leuchtet wohl ein.
	        
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