Frankreich. (Mai Mitte—Juni 3.) 237
Er habe bei den Verhandlungen drei Hauptpunkte durchgesetzt, an
denen er auch festhalten wolle. Erstens habe sich Frankreich bezüglich
Aegyptens vollständige Freiheit bewahrt und nichts anerkannt, was sich
ohne seine Zustimmung dort vollzogen habe. Zweitens habe Frankreich
alle seine Besitzungen zu einem einzigen Ganzen abgerundet, und noch
Bagirmi, Wadai und Kanem dazu erlangt, Länder, die, wie er glaube,
in nutzbringender Weise erschlossen werden könnten. Drittens seien die
Ursachen für englisch-französische Zusammenstöße beseitigt worden, ohne daß
Frankreich irgend eines seiner wesentlichen Interessen geopfert habe.
Mitte Mai. (Paris.) Die Briefträger streiken einige Tage,
um die Erhöhung des Mindestgehaltes von 1000 auf 1200 Francs
zu erzielen. Da die Regierung Soldaten für den Postdienst kom-
mandiert, geben sie den Streik schnell auf.
30. Mai. Major Marchand landet in Toulon und wird
glänzend empfangen.
31. Mai. (Paris.) Das Schwurgericht spricht Déroulede
und Marcel Habert von der Anklage, Militärpersonen zur Ver-
letzung der Disziplin verleitet haben zu wollen, frei.
1. Juni. (Paris.) Präsident Loubet empfängt den Major
Marchand. Die Bevölkerung feiert Marchand enthusiastisch.
2. Juni. (Paris.) Major Paty du Clam wird verhaftet.
3. Juni. Der Senat genehmigt das von der Kammer be-
reits angenommene Abkommen mit England.
3. Juni. (Paris.) Der Kassationshof beschließt die Revision
des Dreyfusprozesses. Das Urteil lautet:
„Der Gerichtshof hat nach Anhörung des Präsidenten der Zivil-
kammer in seinem Berichte, des Generalprokurators in seinen Requisitionen
und des Maitre Mornard, Advokaten der Frau Dreyfus, in seinen An-
trägen und nach Einblicknahme in die Akten des Prozesses des am 22. De-
zember 1894 zur Verschickung verurteilten Alfred Dreyfus entschieden: Was
den Beweisgrund betrifft, der sich aus dem geheimen Schriftstück „Cette
canaille de D.“ ergibt, welches dem Kriegsgericht mitgeteilt worden sein
soll: In Erwägung, daß diese Mitteilung sich aus der Erklärung Cafimir
Périers ergibt, der diese Thatsache von General Mercier erfahren und
daß andererseits die Generale Mercier und Boisdeffre, die aufgefordert
wurden zu erklären, was sie hierüber wußten, sich weigerten zu antworten
und auf diese Weise implicite die Thatsache zugestanden; in Erwägung,
daß die Enthüllungen, welche nach dem Urteil gemacht wurden und daß
die den Richtern gewordene Mitteilung einer Urkunde, welche auf sie einen
entscheidenden Eindruck machen kann, eine neue Thatsache bildet, und zwar
eine derartige, daß sie die Unschuld des Dreyfus in sich schließen könnte.
Was den Beweisgrund betrifft, der sich aus dem Bordereau ergibt: In
Erwägung, daß das Dreyfus vorgeworfene Verbrechen bestand in der an eine
fremde Macht oder deren Agenten erfolgte Auslieferung von vertraulichen
oder geheimen, die Nationalverteidigung betreffenden Schriftstücken, deren
Absendung von einem Sendschreiben oder Bordereau begleitet war, das
kein Datum und keine Unterschrift trug und auf sehr feinem karriertem