Frankreich. (Juni 12.—26.) 239
begrüßt, es ereignet sich kein Zwischenfall außer einigen unbedeuten-
den Schlägereien.
12. Juni. (Deputiertenkammer.) In einer Debatte über
das Eingreisen der Polizei am vorhergehenden Tage nimmt die
Kammer eine von der Regierung nicht gebilligte Erklärung an.
Das Kabinett tritt deshalb zurück.
13. Juni. (Paris.) Graf Christiani wird wegen seines
Angriffs auf Loubet zu vier Jahren Gefängnis verurteilt.
Mitte Juni. Es werden Kundgebungen höherer Offiziere
gegen die Revision des Dreyfusprozesses bekannt. Die radikale
Presse fordert Einschreiten der Regierung dagegen.
22. Juni. Neubildung des Kabinetts.
Vorsitz und Inneres: Waldeck-Rousseau; Aeußeres: Delcassé; Krieg:
General Galliffet; Marine: Lannessan; Justiz: Monis; Ackerbau: Jean
Dupuy; Handel: Millerand; Finanzen: Caillaux; Unterricht: Leygues;
öffentliche Arbeiten: Pierre Bodin; Kolonien: Decraix. Radikal sind La-
nessan und Baudin, Sozialist ist Millerand, die übrigen gehören zur Partei
der gemäßigten Republikaner. — Viele Sozialisten mißbilligen den Eintritt
Millerands neben dem „Reaktionär“ Gallifet, obschon dieser als überzeugter
Dreyfusist gilt. Von der Gruppe Méline gehört niemand dem Kabinet an.
26. Juni. Das Kabinett gibt in beiden Kammern folgende
Erklärung ab:
„Nachdem die Kammer ihren Entschluß ausgesprochen hat, nur eine
Regierung zu unterstützen, welche entschlossen ist, mit Entschiedenheit die
republikanischen Einrichtungen zu verteidigen und für die öffentliche Ord-
nung zu sorgen, ist die Aufgabe, welche dem neuen Kabinett zufällt, klar
bestimmt. Wir haben keinen anderen Wunsch, als diese Aufgabe zu er-
füllen. Es handelt sich darum, das uns allen gemeinsame Erbe unveräußert
aufrecht zu erhalten. Wir find der Ansicht, daß die Spaltung der Par-
teien hiegegen zurücktreten muß, da das Werk, das wir unternehmen wollen,
die Mitwirkung aller Republikaner erfordert. Wenn so unser Ziel dadurch
vorgezeichnet ist, so ist es nötig, sich zu verständigen, die Streitfragen ruhen
zu lassen gegenüber der gemeinsam zu erfüllenden Pflicht, die dahin geht,
dem Treiben ein Ende zu machen, welches unter leicht zu durchschauenden
Vorwänden gegen die Regierungsform sich richtet, die das allgemeine Stimm-
recht sanktioniert hat und die es aufrecht zu erhalten wissen wird. Es er-
fordert das in allen Dienstzweigen treue Mitarbeit und den Mut der Ver-
antwortlichkeit. Dieses muß die erste Sorge der Regierung sein, welche sich
Ihnen vorstellt. Es wird nicht ihre Schuld sein, wenn die Gerechtigkeit
ihr Werk nicht in voller Unabhängigkeit vollendet. Die Regierung ist ent-
schlossen, ihren Entscheidungen Achtung zu verschaffen. Sie kann diejenigen,
welche die verantwortungsvolle Aufgabe haben, über Menschen zu Gericht
zu sitzen, nicht mit verschiedenem Maße messen, und wenn man dem Wunsche
des Landes vor allem Gehör schenkt, werden die weiteren Entscheidungen
in Ruhe und Ordnung sich vorbereiten. In die erste Reihe der mit der
Erhaltung und Würde einer Nation aufs engste verknüpften Interessen
stellen wir diejenigen der Armee, welche die dritte Republik auf so starker
und breiter Grundlage neu organisiert hat, daß sie der Ausdruck zugleich