Frankrei. (September 21.—Oktober 24.) 243
„Der Verräter verurteilt. Zehn Jahre Detention und die Degradation.
Nieder mit den Juden!“ Der bonapartistische Deputierte Cuneo d'Ornano
im „Petit Caporal“ schreibt: „Trotz Kaisern und Königen, die ihren Mann
retten wollten, trotz der gegenwärtigen Machthaber der parlamentarischen
Republik, welche dem jüdischen Syndikate versprochen hatten, den Verräter
freisprechen zu lassen, trotz der verjudeten Anarchisten und Sozialisten, der
Söldlinge des Verrats, wurde der Verräter erreicht. Die Revisionisten
bleiben standhaft.“ Im „Figaro“ konstatiert Cornely voll Hohn erstens,
daß die Revisionskampagne berechtigt sei, da Dreyfus nunmehr mildernde
Umstände zuerkannt worden wären, und wiederholt nochmals, daß kein
Beweis vorlag, daß die Richter sich durch die Chefs beeinflussen ließen und
die Hauptzeugen, nämlich die Ataschees, abwiesen. Falls Dreyfus schuldig
wäre, sei auf erschwerende Umstände zu erkennen gewesen, da sein Vermögen
ihn vor der Versuchung bewahrte, da er durch sein hartnäckiges Leugnen
das Land in Unruhen stürzte und die Heuchelei soweit trieb, patriotische
Briefe nach der Heimat zu senden. Der „Figaro“ habe einer großen Sache
gedient; er werde stets den Unterdrückten seine Thore öffnen und der Welt
ein wahres Echo des französischen Gewissens geben. Yves Guyot schreibt
im „Siecle": „Die fünf Offiziere, welche Dreyfus schuldig sprachen, fällten
ein Urteil. welches ein Muster von Feigheit und Jefuitismus bleiben wird.
Diese Offiziere hatten die klarste Ueberzeugung, daß Dreyfus unschuldig sei,
sie verurteilten ihn aber gleichwohl, weil sie die Generale vor den Kon-
sequenzen retten wollten, welche diese seit den fünf Jahren angehäuft hatten.
Die fünf Offiziere irren, wenn sie glauben, das angestrebte Ziel erreicht zu
haben. Die Regierung muß Mercier wegen falschen Zeugnisses sofort ver-
haften lassen.“ (Tgl. Rdsch.“)
21. September. (Paris.) Der Präsident der Republik be-
gnadigt Dreyfus. Der Kriegsminister Galliffet richtet folgenden
Tagesbefehl an das Heer:
Der Zwischenfall ist abgeschlossen; die militärischen Richter haben,
von allgemeiner Ehrfurcht umgeben, in aller Unabhängigkeit ihr Urteil ge-
sprochen. Wir haben uns ohne irgend einen Hintergedanken vor ihrem
Spruche geneigt. In gleicher Weise neigen wir uns vor der Handlung,
welche ein Gefühl tiefen Mitleids dem Präsidenten eingegeben hat. Fortan
kann von keinen Repressalien irgendwelcher Art mehr die Rede sein. Ich
wiederhole es also, der Zwischenfall ist abgeschlossen. Ich bitte Sie und
würde Ihnen, wenn es nötig würde, befehlen, diese Vergangenheit zu ver-
gessen, um nur an die Zukunft zu denken. Mit Ihnen allen, meine Kame-
raden, rufe ich aus vollem Herzen: Es lebe das Heer! das Heer, welches
keiner Partei, sondern nur Frankreich angehört. Galliffet.
Anf. Oktober. (Montelimar.) Mehrere Offiziere demon-
strieren gegen die Regierung und den Präsidenten der Republik.
Oktober. Der russische Minister des Auswärtigen, Graf
Murawiew, weilt in Paris. Seine Anwesenheit erzeugt Gerüchte,
daß Rußland und Frankreich eine Friedensvermittlung zwischen
England und den Buren versuchen wollen.
24. Oktober. (Paris.) Eine Neuorganisation des Obersten
Kriegsgerichts bestimmt, daß dieser Gerichtshof für die Zukunft nur
noch aus Offizieren besteht, die für den Kriegsfall zu Komman-
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