Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfzehnter Jahrgang. 1899. (40)

       Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 18.)               21
 
schließlich das Reichsgericht anrufen. Aber den Bundesrat anrufen in 
einer solchen Frage, das übersteigt alle Begriffe, die wir bisher von Recht 
und Gerechtigkeit gehabt haben. Auch Professor Binding in Leipzig spricht 
fich in seinem Urteil über die Sache ganz in meinem Sinne aus und negiert 
die Zuständigkeit des Bundesrats. Ueber die Thronfolge in einem Staate 
entscheidet heutzutage dieser Staat selbst. Der Bundesrat ignoriert das aber. 
Soll das im Reich geändert werden, dann kann das nicht einseitig der 
Bundesrat, sondern nur die Gesetzgebung. Das Privatfürstenrecht mag ja 
früher eine Berechtigung gehabt haben, heute am Ende des 19. Jahr- 
hunderts kann man es kaum noch begreifen. 
             Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst: Auf die 
Ausführungen des Herrn Vorredners habe ich folgendes zu erklären: Die 
Reichsverfassung weist in Artikel 76 Absatz 1 gewisse öffentlich-rechtliche 
Streitigkeiten unter bestimmten Voraussetzungen dem Bundesrate zur Er- 
ledigung zu, der selbständig und allein darnach zu handeln, insbesondere 
zunächst über seine Kompetenz zu entscheiden hat. Ein solcher Entscheid ist 
lediglich ein Akt bundesrechtlicher Jurisdiktion. Obwohl ich mit dem er- 
gangenen Beschlusse völlig einverstanden bin, vermag ich im Hinblick auf 
diese staatsrechtliche Stellung des Bundesrats doch nicht in eine Diskussion 
einzutreten; denn Urteile können naturgemäß nicht wie Gesetzentwürfe oder 
Akte der vollziehenden Gewalt den Gegenstand einer nachträglichen zwei- 
seitigen Verhandlung bilden. Indes scheint mir auch zu dem Beschlusse 
über die Zuständigkeit kein aufklärendes Wort nötig, denn es ist in dem 
Beschlusse durch Aufführung der einzelnen Tatsachen selbst völlig klar ge- 
stellt, daß bei der allerdings kontroversen Auslegung des Artikels 76 Absatz 1 
der Reichsverfassung der Bundesrat in seiner großen Mehrheit den Umstand 
als entscheidend erachtet hat, daß tatsächlich in seiner äußeren Erscheinung 
für beide Parteien der Streit den Charakter einer von ihren Regierungen 
geführten Staatsangelegenheit angenommen hat und die Bundesinstanz in 
dieser Streitlage angerufen worden ist. Das Verhältnis der Landes- 
gesetzgebung gegenüber dem fürstlichen Hausrechte bildet den Hauptstreit- 
punkt, und da über diesen die Entscheidung völlig vorbehalten ist, muß ich 
es mir versagen, durch irgend welche Erklärungen der künftigen Entscheidung 
unbefugterweise vorzugreifen. Endlich ist es bemängelt, daß der Bundes- 
rat nicht sofort zu einer materiellen Erledigung des Streites geschritten ist. 
Würde ein strittiger Successionsfall bereits eingetreten sein, oder nach 
menschlicher Voraussicht näher bevorstehen, so wäre es freilich nicht wohl 
angegangen, von dem Kompetenzpunkt schon die nächste Frage zu trennen, 
unter welchen prozessualen Modalitäten die weitere Erledigung erfolgen 
wird; indes ist zu beachten, daß bei der Bejahung der Kompetenz jetzt 
schon der Rechtsstand für beide Teile im Sinne der Ziffer 3 des Beschlusses 
festgelegt worden ist. Die Trennung des Entscheids der Zuständigkeits- 
und der sachlichen Frage hat unter der Herrschaft der Austrägalordnung 
des früheren deutschen Bundesrechts regelmäßig stattgehabt. Es entspricht 
auch nur dem Charakter des Bundesverhältnisses, nicht vorzeitig durch Ver- 
einigung der verschiedenen Prozeßabschnitte die Möglichkeit auszuschließen, 
daß in einem neuen Stadium eine Annäherung der streitenden Teile, sei es 
durch eigene Vereinbarung eines Austrags, sei es in der Sache selbst, eintrete. 
            Abg. Dr. Lieber (Z.) bestreitet die Zuständigkeit des Bundesrats 
und des Reichstags in dieser Frage. Allein die Staatsgesetzgebung sei in 
diesem Falle kompetent. 
             18. Januar. Der Reichstag lehnt gegen die Stimmen der 
Konservativen und Reichspartei den Antrag Graf Klinckowström
	        
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