Kanal-
vorlage.
318 Mebersicht der polilisczen Enkwichelnns des JZahres 1899.
allgemeinen genannt wurde wegen der darin vorgesehenen Zucht-
hausstrafe für eine bestimmte Art von Vergehungen bei Streiks,
stieß im Reichstage auf entschiedene Ablehnung; die Mehrheit be-
zeichnete sie als einen Angriff auf die Koalitionsfreiheit und erklärte
sich gegen jede Repressivmaßregel. Ohne der Beratung in einer
Kommission unterzogen zu werden, wurde sie in der Herbsttagung
des Reichstags abgelehnt. Weit mehr als die Militärfrage hatte
diese Frage die allgemeine Teilnahme erregt, und die Parteien hatten
sich ihr gegenüber ungefähr nach denselben Grundsätzen gruppiert,
wie in den Jahren 1894 und 1895 bei der Umsturzvorlage, aber
der Meinungskampf, den sie entfesselte, blieb noch weit zurück hinter
der Bewegung, die die Kanalvorlage erzeugte. Die Vorlage nahm
den Bau von zwei neuen Kanälen in Aussicht, den Dortmund-
Rhein= und den Mittelland-Kanal. Der erste sollte als Fortsetzung
des Dortmund--Ems-Kanals eine bessere Verbindung des Ruhr-
gebiets mit dem Rhein und der andere eine Verbindung zwischen
Rhein und Elbe über Dortmund, Minden und Hannover herbei-
führen. Für beide Kanäle wurde geltend gemacht, daß die Eisen-
bahnen den beständig wachsenden Verkehr nicht mehr bewältigen
könnten, worauf die Gegner erwiderten, das treffe nur für die kurze
Strecke vom Rheine bis nach Dortmund, aber nicht bis zur Elbe
zu, und der Bau des Mittelland--Kanals erfordere ein neues Kanal-
system im Osten; die Kanäle würden sich nie rentieren und über-
dies den Eisenbahnen die empfindlichste Konkurrenz machen und so
die Staatsfinanzen schädigen. Dazu kam dann die Befpürchtung
speziell agrarischer Tendenz, daß der Ausbau des westlichen Kanal-
systems die Industrie in diesen Gegenden bedeutend verstärken müsse
und eine steigende Abwanderung östlicher Landarbeiter nach dem
Westen zur Folge haben werde. An der Unversöhnlichkeit dieser
Gegensätze ist der Plan der Regierung gescheitert, trotzdem sie die
Vertreter der nicht von den Kanälen berührten Provinzen zu ge-
winnen suchte, indem sie diesen Landschaften „Kompensationen“
durch andere wirtschaftliche Verbesserungen zusicherte.
Obgleich es sich hier im Grunde nur um eine rein wirt-
schaftlich-technische Frage handelte, hat der Kanalkampf zu tief-
greifenden politischen Prinzipienkämpfen geführt: die Regierung