Nebersicht der politischen Gutwichelnut des Jahres 1899. 319
hat eine Anzahl politischer Beamten, die als Abgeordnete gegen
den Kanal gestimmt haben, gemaßregelt und damit die Frage, ob
ein Verwaltungsbeamter Abgeordneter sein könne, aufgerollt; mit
den konservativen Parteien, sonst ihren sichersten Stützen im Ab-
geordnetenhause, ist sie darüber in Zwist geraten, und innerhalb
der Regierung selbst find offenbar Spaltungen nicht ausgeblieben.
Wie weit die auf Seite 136 erwähnten, in der Offentlichkeit er-
hobenen Behauptungen über die Vorgänge im Staatsministerium
und von einem scharfen Gegensatze zwischen dem Präsidenten und
Vizepräsidenten des Staatsministeriums zutreffen, ist nicht zu kon-
trollieren. Meinungsverschiedenheiten bei solchen Vorgängen sind
aber unausbleiblich und so ist es nicht verwunderlich, daß der Streit
zum Rücktritt zweier Minister geführt hat.
Der Kanalkrieg ließ erst nach, als die Regierung mit dem
Plan hervortrat, die Flotte aufs neue beträchtlich zu vergrößern, Flotten-
speziell die im letzten Flottengesetze bestimmte Zahl der Linienschiffe vorluge-
etwa zu verdoppeln. Die Diskussion der Flottenfrage hatte nie
geschwiegen, und gelegentlich war die Meinung aufgetaucht, den
Ausbau der Flotte schneller zu betreiben, als es im Rlottengesetz
beschlossen worden war. Einen neuen Anstoß gab diesen Erörte-
rungen die Rede des Kaisers in Hamburg und die darauf folgende
offiziôöse Publikation der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“,
worin die Absichten der Regierung klar gelegt wurden (S. 156).
Sogleich erhob sich Beifall und Widerspruch allerorten, aber es
zeigte sich, daß die absolute Notwendigkeit einer Flottenvermehrung
selbst wenig bestritten wurde. Die Gegner richteten ihre Angriffe
vielmehr auf Nebendinge, so wurde die Regierung der mangelnden
Voraussicht angeklagt, weil sie das soeben in Ausführung genom-
mene Gesetz wieder umstoßen wolle; es wurden wiederum die finan-
ziellen Lasten, die eine Flottenvermehrung mit sich bringe, ins Feld
geführt; einzelne übertriebene Forderungen und das agitatorische
Ungeschick einzelner Flottenfreunde wurden ausgenützt, um die ganze
Frage zu diskreditieren. Die Befürworter der Verstärkung konnten
die neuen Forderungen im allgemeinen mit denselben Argumenten
begründen, wie die letzte Vermehrung (1897 Überf.); daß es ubtig
sei, die Flotte schon jetzt über den damals geplanten Rahmen hinaus