Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfzehnter Jahrgang. 1899. (40)

322 Mebersicht der polilischen Gutwichelung des Jahres 1899. 
Aus- Die auswärtige Politik Deutschlands ist bereits oben berührt 
wor- worden. Im Samoastreit wahrte die Regierung Deutschlands 
Rechte und im Südafrikanischen Kriege hielt sie strenge Neutrali- 
tät, so energisch auch die öffentliche Meinung sich zu gunsten der 
Buren aussprach. Am schärfsten kam der Gegensatz zwischen Re- 
gierung und Volksstimmung zum Ausdruck anläßlich der Kaiser- 
reise nach England, die überall als eine englandfreundliche Kund- 
gebung und moralische Unterstützung Englands aufgefaßt wurde, 
während doch Deutschland offenbar an der Erhaltung der Buren 
interessiert sei. Daß die öffentliche Meinung so empfand, ist natür- 
lich, aber man darf nicht vergessen, daß internationale Rücksichten 
eine derartige, der nationalen Stimmung widersprechende Politik 
erzwingen können, und daß die augenblickliche Unterstützung eines 
politischen Rivalen oder Gegners nicht notwendig die Preisgebung 
der eigenen Interessen bedeutet. So wurde die Erfurter Zusammen- 
kunft zwischen Napoleon und Alexander I im Jahre 1808 von der 
russischen öffentlichen Meinung scharf verurteilt, weil diese in Na- 
poleon einen Gegner Rußlands sah, aber wie sich bald zeigte, gab 
sie dem Zaren Gelegenheit die Erfüllung eines russischen Lieblings- 
wunsches, die Eroberung türkischer Provinzen in Angriff zu nehmen. 
Ob ähnliche Erwägungen die Politik Deutschlands gegen England 
bestimmen, steht dahin, jedenfalls ist Deutschland bei seiner maritimen 
Schwäche vorläufig auf ein gutes Verhältnis zu ihm angewiesen. — 
Das Verhältnis zu den übrigen Mächten blieb im ganzen unver- 
ändert. Mit Frankreich wurden einige internationale Höflichkeiten 
gewechselt (S. 267), die auf beiden Seiten der Vogesen Betrach- 
tungen über die Möglichkeit einer deutsch-französischen Annäherung 
mit der Spitze gegen England veranlaßten. Die Beziehungen zu 
Amerika wurden durch den Gegensatz in der Samoafrage und durch 
wirtschaftspolitische Differenzen getrübt, Fragen, die auch bis jetzt 
noch nicht erledigt sind und gegenseitige Importerschwerungen als 
möglich erscheinen lassen. — Viel erörtert wurde die Frage eines 
engeren Zusammenschlusses zwischen Deutschland und Holland auf 
wirtschaftlichem und politischem Gebiete. Die Unfähigkeit Hollands 
seine Kolonien und seinen Handel gegen den Angriff einer Groß- 
macht zu verteidigen, das Vorgehen Englands gegen die Holländer
	        
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