Mebersicht der politischen Eutmickelung des Jahres 1899. 331
brach im Kopenhagener Zimmergewerbe ein Streik über Lohn-
angelegenheiten aus, an dem bald das ganze Baugewerbe teilnahm.
Der Streik entwickelte sich allmählich zu einer Kraftprobe zwischen
den gewerkschaftlich organisierten Arbeitern und den ebenfalls
organisierten Unternehmern. Wiederholte Verständigungsversuche
scheiterten, da die Unternehmer den Anspruch der Arbeiter, an der
Direktion der Arbeit mitzuwirken, nicht anerkennen wollten. Erst
am 4. September kam es zu einer Einigung, die in allen wesent-
lichen Punkten zu Gunsten der Arbeitgeber ausfiel.
In Schweden und Norwegen ist der Unionskonflikt nicht Schwe-
gemildert, vielmehr infolge der Durchführung des Flaggenstreites ven-
gesteigert worden. Bei der gereizten Stimmung bedeutete die wegen.
bedeutende Verstärkung der schwedischen Wehrkraft, die mit nie
erhörter Bereitwilligkeit vom Reichstage zugestanden wurde, eine
gewisse Drohung gegen das Nachbarreich, aber bei den Reichstags-
wahlen erlitten die Vertreter eines schroffen Vorgehens gegen
Norwegen eine Niederlage. Augenblicklich wird in Schweden die
allgemeine Wehrpflicht erörtert, aber es ist zweifelhaft, ob in ab-
sehbarer Zeit bindende Beschlüsse darüber gefaßt werden. — Die
auswärtige Politik der Union, die auf die strengste Neutralität
nach allen Seiten hinausläuft, ist durch den Wechsel im Mi-
nisterium des Auswärtigen nicht verändert worden.
Die russische Politik, auf deren Initiative die Haager Nuß-
Friedenskonferenz zurückzuführen ist, hatte einen durchaus fried= land.
lichen Charakter. Sowohl während der Differenzen zwischen Frank-
reich und England, wie während des Burenkrieges machte sie keine
Anstalten aus ihrer strengen Neutralität herauszutreten, wiewohl
die Sympathie der Nation beide Male auf der Seite der Gegner
Englands war. Die Friedensliebe und der Abrüstungsvorschlag
des Zaren hinderte indessen die russische Regierung nicht, ihre
Wehrkraft unausgesetzt zu verstärken; so wurden in Zentralasien
zwei neue Armeekorps organisiert und die Flotte vergrößert. Das
Ziel der asiatischen Politik Rußlands ist nach wie vor, zunächst
Persien völlig unter russische Botmäßigkeit zu bringen, und so den
Weg nach dem indischen Ozean zu finden, während gleichzeitig der
sibirische Bahnbau und die Kolonisation Sibiriens mit Eifer be-