Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfzehnter Jahrgang. 1899. (40)

80 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 13./18.) 
abwarten, was nach 10 Jahren sich als notwendig ergibt unter den ganz 
anders gestalteten Verhältnissen. Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß 
wir bei Erörterung aller Bedenken in der Lage sind, nachzuweisen, daß 
diese Bedenken sämtlich übertrieben sind. Der Landtag der Monarchie ist 
vor eine ernste Entscheidung gestellt. Nach der Verstaatlichung der Privat- 
bahnen ist kein Schritt auf dem Gebiete des Verkehrswesens geschehen, der 
sich mit diesem vergleichen läßt. Die Staatsregierung sieht in der Vorlage 
eine notwendige Konsequenz und Ergänzung der Eisenbahnverstaatlichung. 
Die Staatsregierung hofft, daß das Ergebnis Ihrer Prüfung das sein 
wird, daß Sie der Vorlage Ihre Zustimmung geben. (Zustimmung im 
Zentrum und links.) 
Abg. Graf Kanitz (konf): Wir haben zu untersuchen, ob das 
Kanalprojekt der Allgemeinheit des ganzen Landes zu gute kommen wird 
oder nicht. Es wird untersucht werden müssen, ob es sich jetzt, wo die 
Kulturstaaten mit großen Eisenbahnnetzen bedeckt sind, empfiehlt, noch 
Wasserstraßen auszubauen. In anderen Staaten haben die Eisenbahnen 
längst den Sieg davongetragen. (Widerspruch links.) Der Minister meinte, 
die Wasserstraßen würden gebraucht neben den Eisenbahnen im Interesse 
der Wehrhaftigkeit des Landes. Unsere Eisenbahnen können allerdings nur 
schwer die großen Truppenmassen befördern. Aber wenn wir uns dafür 
auf den Wasserweg verlassen wollten, würden wir verlassen sein. Denn 
abgesehen von dem Umstande, daß die Kanäle zufrieren, ist die Zuverlässig- 
keit der Wasserwege höchst bedenklich. Wie würde es 1870/71 möglich 
gewesen sein, unsere Truppen im Winter zu versorgen, wenn wir auf 
Wasserstraßen angewiesen gewesen wären! England liefert den besten Be- 
weis dafür, daß die Wasserstraßen mit den Eisenbahnen nicht mehr kon- 
kurrieren können. Die englischen Eisenbahngesellschaften haben die Kanäle 
angekauft und verfallen lassen. In England ist nur ein Kanal im Kohlen- 
revier von Newcastle gebaut worden und zwar von den Kohleninteressenten 
selbst. In Amerika hat der größte Kanal, der Eriekanal, seine Bedeutung 
verloren, seitdem die Eisenbahnen gebaut sind. In Amerika würde der- 
jenige für verrückt erklärt werden, der neben die Eisenbahnen einen Kanal 
bauen wollte. In Frankreich werden noch erhebliche Summen für Kanal- 
bauten ausgegeben, obwohl auch hier eine Beschränkung stattgefunden hat. 
Aber das liegt darin, daß Frankreich kein Staatsbahnsystem hat, während 
wir ein solches haben. Wären die französischen Eisenbahnen verstaatlicht, 
so würde kein Pfennig mehr für Kanalbauten ausgegeben werden. Der 
Güterverkehr auf den französischen Kanälen hat sich von 1847—1894 nur 
um 55 v. H gesteigert. Die übrigen Verkehrssteigerungen haben die Eisen- 
bahnen bewältigt. Die Wasserstraßen werden den Interessenten vom Staate 
kostenlos und abgabenfrei oder doch ziemlich abgabenfrei überlassen. Warum 
sollen die Eisenbahnen allein ihre Verzinsung aufbringen!? Das ist, darin 
hat der Eisenbahndirektionspräsident Ulrich vollständig recht, eine verkehrte 
Welt. Der Minister meint allerdings, daß der Kanal, der jetzt gebaut 
werden soll, seine Unterhaltung und Verzinsung aufbringen wird. Aber 
vestigia terrent! Beim Dortmund-Emskanal haben wir das Gegenteil 
erlebt. Die Anlagekosten dieses Kanals sind erheblich überschritten worden; 
der Kanal ist heute noch nicht im Betriebe. Es war die Absicht der kgl. 
Staatsregierung, für die Verzinsung des Baukapitals durch Erhebung von 
Abgaben zu sorgen. Warum wird das Versprechen, welches damals bei 
der Beratung der Vorlage gegeben wurde, nicht eingelöst? Die Regierung 
wird es uns nicht verdenken, wenn wir jetzt ihren Erklärungen mit einiger 
Reserve gegenüberstehen. Sonst wird immer die einheimische Produktion 
bevorzugt, auch bei den Eisenbahntarifen. Die Wasserstraßen sind aber 

	        
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