Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfzehnter Jahrgang. 1899. (40)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 13./18.) 83 
Garantien übernommen haben. Dem Staate kann es also gleichgültig sein, 
wie der Kanal sich rentiert; die Provinzen haben die Garantie übernommen 
in einer Höhe, wie es bisher noch nicht vorgekommen ist. Wir bauen seit 
1880 Eisenbahnen, obwohl wir wissen, daß sie zum großen Teil gar nicht 
rentieren werden. Wenn man, wie Herr Schmieding will, die Steuer- 
einnahmen und die Staatsaufwendungen aufrechnet, dann ist allerdings in 
den letzten Jahren der Osten bevorzugt gewesen. Aber der Osten zahlt 
nicht bloß in Geld, sondern auch in Menschen; der Westen hat von den 
Bahnen im Osten den Vorteil, daß er die Schienen und die sonstigen 
Materialien liefert. Solche Aufrechnungen einer Provinz gegen die andere 
sollte man unterlassen, denn sie führen schließlich zur Auflösung des Staates. 
(Zustimmung links.) Der Ausfall an Einnahmen bei den Eisenbahnen ist 
mit 53 Millionen wohl genau berechnet; er wird aber in zehn Jahren 
durch den gesteigerten Verkehr auf den Eisenbahnen, der die Grenze der 
Leistungsfähigkeit bald erreicht hat, wieder eingeholt werden. Die Ver- 
staatlichung der Eisenbahnen hat die Verantwortlichkeit der Verwaltung 
nach allen Seiten hin erhöht, sowohl in Betreff der Fürsorge für das Per- 
sonal, als auch in Bezug auf die Bewältigung des Verkehrs, dessen Steige- 
rung nicht immer den Nettoertrag erhöht. Der Staat muß dem gesteigerten 
Verkehr ein Unternehmen zur Verfügung stellen, das er nicht selbst betreibt, 
sondern den Privaten überläßt. Trotzdem der Verkehr auf dem Rhein 
steigt, sind die auf beiden Ufern laufenden Eisenbahnen überlastet; auch 
der Verkehr auf dem Main, der Elbe und Oder steigt, ohne daß die Eisen- 
bahnen Verluste erleiden. Man behauptet, bei Erhebung von Abgaben 
auf dem Rhein und den anderen Flüssen würde der Verkehr aufhören. 
Ich mache mich anheischig, auf dem Rhein, der Elbe u. s. w. erhebliche 
Abgaben einzuführen, ohne daß der Verkehr abnimmt. Der Finowkanal 
rentiert ein Kapital von zehn Millionen, obgleich er sicherlich keine zwei 
Millionen gekostet hat. Auch die übrigen märkischen Wasserstraßen werfen 
eine annehmbare Rente ab. Abgaben auf natürlichen Wasserstraßen sind 
auf Grund internationaler Verträge ausgeschlossen. Wenn man eine De- 
zentralisation der Industrie wünscht, dann muß man billige Kohlen, die 
Grundlage für die Industrie, schaffen. Die Unternehmungen am Kanal 
werden wertvoller werden, namentlich weil sie ihre schweren Massengüter 
Thon, Steine u. s. w. leichter in den Verkehr bringen können. Kompen- 
sationen werden von allen Seiten gefordert, so daß sie sich hoffentlich unter 
einander selbst kompensieren. Die Schlesier thun so, als wenn sie am 
Rande des Abgrundes ständen. Jede neue Eisenbahn benachteiligt einzelne 
Interessenten, trotzdem hat man den Staat noch niemals für verpflichtet 
erachtet, einen Schadenersatz zu leisten. Für Schlesien ist in den letzten 
Jahren sehr viel geschehen, für Oberschlesien sind 30 Millionen für die 
Oderkanalisierung gegeben. Ich komme nun zu den Kompensationen, die 
von so vielen Seiten gefordert worden, daß ich hoffe, sie werden sich gegen- 
seitig kompensieren. Kompensationen derart, daß der eine zu gleicher Zeit 
etwas haben will, wenn der andere etwas bekommt, sind unmöglich. Man 
muß erst abwarten, ob Kompensationen nach zehn Jahren überhaupt not- 
wendig sind. Da entscheidet das Interesse des Gesamtstaates. Zu Kompen- 
sationen wird man aber schließlich viel leichter kommen, wenn man den 
Kanal annimmt, als wenn man ihn ablehnt. Es handelt sich hierbei um 
Summen, die gar nicht ins Gewicht fallen gegenüber den Summen, die 
wir konstant in jedem Jahr bewilligen; es handelt sich nur um wenige 
Millionen Mark jährlich. Der Kanal friert allerdings im Winter acht 
Wochen zu; aber der Kanalverkehr ist eben vorher im Herbste bewältigt, 
gerade zu der Zeit, in welcher auch die Eisenbahnen durch Rüben- und 
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