Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebzehnter Jahrgang. 1901. (42)

Fremtreich. (November 22.—Dezember 3.) 241 
abgelehnt. Am 25. wird die Anleihe von 265 Millionen mit 295 gegen 
249 Stimmen angenommen. 
22. November. Der Senat beschließt eine Kommission zu 
ernennen, die Mittel aufsuchen soll, um die Entvölkerung Frank- 
reichs zu verhüten. 
25. November. Die „Petite République“ veröffentlicht Aus- 
züge aus dem Geheimberichte Voyrons über die in China verübten 
Plünderungen. 
Es wird darin versichert, daß die französischen Truppen sich viel 
besser benommen hätten als die Truppen der anderen Nationen. Es hätten 
zwar Plünderungen seitens der Franzosen stattgefunden, doch habe es sich 
hier um vereinzelte Vorkommnisse gehandelt. Die Soldaten seien von 
Missionaren verleitet worden, für deren Rechnung sie die Plünderung aus- 
führten. Eines Tages, so heißt es in dem Bericht weiter, begaben sich 
Missionare mit 40 Wagen und 300 eingeborenen Christen nach dem Palast 
des Prinzen Li, um diesen zu durchsuchen. Sie nahmen dort eine be- 
deutende Summe in Silberbarren an sich und gaben jedem der Marine- 
soldaten, die ihnen bei der Plünderung geholfen hatten, Checks bis zum 
Betrage von 2000 Franken. Andere Soldaten, die dies erfuhren, nahmen 
dann für ihre eigene Rechnung Silberbarren weg, welche sie Privatleuten 
gegen Checks abtraten, da sie die Barren nicht selbst verwerten konnten. 
Den Soldaten diese Checks zu lassen, würde geheißen haben, ihnen eine 
Prämie für ihre Plünderungen gewähren. Man versuchte, ihnen die Checks 
wieder wegzunehmen, aber die Marinesoldaten weigerten sich, sie zurück- 
zugeben, und schließlich wurden sie ihnen auch gelassen. Der Bericht fügt 
hinzu, daß ein Check von 5000 Franken vom Bischof Favier ausgestellt 
wurde, an Stelle der Checks, welche die Missionare den Soldaten gegeben 
hatten, die ihnen bei der Fortschaffung der Barren aus dem Palast des 
Prinzen Li halfen. 
3. Dezember. (Kammer.) Debatte über das Verhältnis 
zu Deutschland und England. 
Dep. Massabuau führt in einer Rede über die auswärtige Politik 
aus: „Wenn ich vor die Notwendigkeit gestellt werde, zum Heile des Vater- 
landes mit Feinden Frankreichs zu verhandeln, dann würde ich einer An- 
näherung an Deutschland den Vorzug geben. (D'’Estournelles unterbrechend: 
Ja, aber unter welchen Bedingungen?) Das werden wir im gegebenen 
Augenblicke in Gegenwart des Ministers des Aeußern erörtern. Ich bin 
jedenfalls ein Anhänger eines modus vivendi. (Bewegung. Der Sozialist 
Coutant ruft: Sie sind Internationalist!) Ein modus vivendi, der uns, 
indem wir die Regelung anderer ernster Fragen abwarten, gestatten würde, 
uns zu verständigen, wie wir in China gegen einen gemeinsamen Feind 
uns verständigt haben. Oeffnen Sie das Gelbbuch, so werden Sie ein 
Protokoll finden, an dessen Spitze Generalfeldmarschall Graf v. Waldersee 
steht, der im Namen des deutschen Kaisers verhandelt. Wir haben unsern 
Namen als Unterschrift darunter gesetzt und dabei nicht geglaubt, daß wir 
uns durch ein vorübergehendes Einvernehmen mit dem Feinde von gestern 
entehren. Ich sehe nicht ein, warum wir nicht morgen wieder thun sollen, 
was wir gestern gethan haben, warum wir nicht unsere Interessen mit 
anderen kontinentalen Interessen gegen einen gemeinsamen jahrhunderte- 
langen Feind vereinigen sollen. — Die Presse betont, daß zum ersten Male 
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